■ Vielleicht gibt der Kanzler Waigel nach, vielleicht auch nicht: Nichts, was helfen würde
Größer konnte der Widerspruch nicht sein: Der Finanzminister läuft in kurzer Hose durch den Ostseesand, in der rechten Hand einen Buddeleimer, neben sich seinen zweijährigen Sohn Konstantin und seine Frau Irene, und verkündet: „Ich werde auch im Jahr 2000 noch Finanzminister sein.“ Von wegen! Im nächsten Jahr soll Schluß sein. „Neun Jahre sind genug“, findet Waigel, „das ist mehr, als jeder von mir erwarten konnte.“ In der Tat, das waren genau neun Jahre mehr, als wir erwartet hatten. Wer hat kein Verständnis dafür, daß er da lieber Schluß machen möchte?
Aber warum dann gleich Außenminister werden wollen? Nur weil er schon mal mit dem Hubschrauber nach Frankfurt geflogen ist, um das Gold der Bundesbank abzuholen? Warum gleich das ganze Kabinett durcheinanderwürfeln? Weil Stoiber dem CSU-Vorsitzenden Waigel im Nacken sitzt?
Vielleicht hofft der Finanzminister in seiner Verzweiflung ja wirklich, das alles auf einmal lösen zu können. So macht er das, was sein Duzfreund Helmut Kohl am wenigsten leiden kann: Er setzt ihn unter Druck. Hatte das nicht auch beim letztenmal geklappt, als Schäuble dunkel ankündigte, er könnte der Versuchung, Kanzler zu werden, nicht widerstehen? Kurz darauf mußte Kohl seine Kanzlerkandidatur erklären. Aber was könnte jetzt Vergleichbares passieren, das der Koalition helfen würde? Nichts!
Eine Kabinettsumbildung wäre es am allerwenigsten. Das Kabinett ist schon lange nicht mehr der Ort, wo Politik gemacht wird. Unter Helmut Kohl geschieht Politik, der Kanzler achtet nur noch darauf, daß die verschiedensten Interessen von CDU, CSU und FDP gewahrt bleiben. Das einzige, was die Koalition für die Bundestagswahl 1998 noch aufbieten kann, ist und bleibt der Kanzler selbst. Seine sommerlichen Urlaubsinterviews sind der letzte Ruhepunkt, der den verunsicherten Deutschen geblieben ist. Das Problem ist nur, daß Kohl nicht mehr so will, wie viele in der Koalition wollen. Arbeitslosigkeit? Haushaltsloch? Steuerreform? Der Kanzler Europas hat Höheres im Sinn: Er möchte Deutschland ins dritte Jahrtausend führen – mit dem Euro. Selbst die FAZ macht sich schon Sorgen: „Die Durchsetzung seiner Politik scheint (ihm) wichtiger zu sein, als die nächste Wahl zu gewinnen.“
Vielleicht wird der Kanzler dem Druck Waigels nachgeben und ein paar Köpfe im Kabinett rollen lassen, vielleicht auch nicht. Die Koalition ist in einem Zustand, daß ihr weder das eine noch das andere helfen wird. Jens König
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen