: Die sichere Wohnung ist lange passé
■ Der Lauschangriff ändert die Verfassungswirklichkeit nicht wesentlich – hier liegt der Unterschied zum Asylrecht
Grundgesetzänderungen verheißen oft nichts Gutes. So geht es allzu häufig nur darum, die etwas zu idealistische Verfassung an die Erfordernisse der herrschenden Politik anzupassen. Von der Wiederbewaffnung in den fünfziger Jahren über die Notstandsgesetze 1968 bis hin zur Fast-Abschaffung des Asylrechts 1993, große Niederlagen der Linken enden meist mit einer Verfassungsänderung. So auch diesmal in der Auseinandersetzung „Bürgerrechte versus Verbrechensbekämpfung“.
Anders jedoch als beim Asylrecht, wo die Änderung für die Flüchtlinge einschneidende Eingriffe brachte, geht es beim Großen Lauschangriff eher um ein Symbol. Zur „Gefahrenabwehr“ ist das Abhören von Wohnungen heute schon möglich. Der aktuelle Streit bezieht sich nur noch auf Maßnahmen zur Strafverfolgung, also nachdem Straftaten begangen wurden.
Jedoch verschwamm die Grenze zwischen den beiden Bereichen der Polizeitätigkeit in den letzten Jahrzehnten immer mehr. So gilt in vielen Polizeigesetzen der Länder auch die „vorbeugende Verbrechensbekämpfung“ als „Gefahrenabwehr“. Das Abhören und Filmen „kriminalitätsgeneigter“ Orte ist deshalb in vielen Bundesländern auch heute schon möglich.
Insofern spitzt das bürgerrechtliche Beharren auf der „Unverletzlichkeit der Wohnung“ das Problem zwar zu, gaukelt jedoch eine Idylle vor, die schon lange nicht mehr existiert. Schwierig ist es deshalb auch, die geplante Verfassungsänderung selbst als grundgesetzwidrig zu entlarven. Zwar verhindert die sogenannte „Ewigkeitsklausel“ des Grundgesetzes, daß der Schutz der Menschenwürde per Verfassungsänderung einfach ausgehebelt wird.
Und natürlich ist es ein wichtiger Aspekt der Menschenwürde einen unantastbaren privaten Rückzugsraum zu haben. Es ist aber nur sehr schwer zu begründen, warum das Grundgesetz Eingriffe in die Wohnsphäre zur Gefahrenabwehr schon immer erlauben durfte und Wohnungsüberwachung zur Strafverfolgung nun nicht einmal per Verfassungsänderung möglich sein sollte.
Entscheidender Kritikpunkt ist, daß von den polizeilichen Maßnahmen vor allem Unbeteiligte betroffen sein werden. Es reicht aus, daß „vermutet“ werden kann, ein „Beschuldigter“ halte sich in einer Wohnung auf. Ob die Betroffenen später eine exzessive Überwachung wirkungsvoll rügen können, hängt vor allem davon ab, wieviel Ermessen die Gerichte der Polizei zubilligen werden. Christian Rath
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