: Der kleine Ole in den kurzen Hosen
Der Hamburger Spitzenkandidat der CDU, Ole von Beust, wirkt gegen Henning Voscherau wie ein Schuljunge ■ Von Silke Mertins
Hamburg (taz) – Ole von Beusts blaue Augen funkeln erwartungsvoll. Er rückt sich die Krawatte zurecht. Dann schreitet der gutaussehende Blonde mit dynamischen Schritten zum Rednerpult im Plenarsal der Hamburger Bürgerschaft. Jetzt soll der Erste Bürgermeister Henning Voscherau von der SPD sich festhalten. Denn jetzt wird er, Ole von Beust, Spitzenkandidat der CDU, mit ihm abrechnen: Verbrechensbekämpfung, Standortförderung, Finanzen, alles, alles liegt darnieder. „Nur Worte“ produziere Voscherau, „nichts dahinter.“ Ole von Beust schnaubt theatralisch ins Mikrophon und macht, wie man es in Rhetorikkursen lernt, zu jeder Aussage die entsprechende Handbewegung. Und beschließt mit seiner Lieblingsredewendung: „Das ist die Wahrheit, meine Damen und Herren.“ Und Voscherau?
Hört gar nicht zu. Der sitzt scheinbar unbeteiligt auf der Senatsbank, telefoniert, blättert in Unterlagen, klappert auf dem Laptop. Wenn der Bürgermeister ihn wenigstens angucken würde, denkt sich Ole von Beust. Er will nur ein kleines bißchen Beachtung. Er bekommt sie nicht. Enttäuscht schleicht Ole zu seinem Abgeordnetenplatz zurück. Ein Duell hatte er sich vorgestellt. Und jetzt das.
Am 21. September sind in Hamburg Bürgerschaftswahlen, der einzige Urnengang eines Bundeslandes in diesem Jahr. Obwohl der 42jährige Rechtsanwalt und Hoffnungsträger der schwachen Hamburger CDU schon vor über einem halben Jahr mit dem Wahlkampf angefangen hat, wollen die Umfrageergebnisse einfach nicht deutlich über 30 Prozent steigen. Das ist immerhin mehr als 1993, tröstet man sich. Damals, als die Wahl wegen undemokratischer Kandidatenaufstellung bei der CDU wiederholt werden mußte, bekamen die Christdemokraten nur 25,1 Prozent. Ein historischer Tiefpunkt.
Das personelle Problem der christdemokratischen Volkspartei zu Hamburg ist schnell beschrieben: von Beust wird von allen Ole genannt, aber niemand spricht von Voscherau als Henning. „Ich kannte den Ole schon, als er noch in kurzen Hosen herumlief“, pflegt der Erste Bürgermeister (56) gehässig hinzuzufügen. Dabei heißt Ole gar nicht Ole, sondern Carl Friedrich Arp Freiherr von Beust. Kein Wunder, daß er lieber auf den Spitznamen seiner Großmutter zurückgreift, die ihn „Ole Popp“ (plattdeutsch für alte Puppe) nannte. Doch nicht als Püppchen, sondern als einer der sogenannten Jungen Wilden in der CDU wurde von Beust über Hamburgs Grenzen hinaus bekannt, als einer, der mit Schwarz-Grün liebäugelt und ab und zu gegen die Bonner stichelt.
Jetzt kann er das Image des Berufsjugendlichen nicht mehr abschütteln. Alle hätten ihn gern als Schwiegersohn, aber niemand als Bürgermeister. Als hätte es Voscherau nicht nur auf die Stammtische, sondern auch auf die Schwachstellen seines CDU-Herausforderers abgesehen, erklärte er den Wahlkampf zur Schlacht um die Innere Sicherheit. Und so watet Ole nun durch den Sumpf der Kriminalität, muß die „Abschieben und durchgreifen“-Parolen der ungeliebten Haudegen seiner Partei zum besten geben. Doch so sehr er sich auch bemüht, Voscherau wirkt einfach glaubwürdiger. Man nimmt dem lieben Ole den Law-and-order-Mann einfach nicht ab.
Auch in der eigenen Partei wird man langsam nervös. Seit Januar hat man die ganze Stadt mit Ole- Plakaten zugeklebt, ihm die Bonner Größen – von Kohl bis Kanther – an die Seite gestellt. Sogar zu den Kleingärtnern und Kameltaufen im Zoo hat man Ole geschickt. Doch ohne Ergebnis in Prozent und Promille. Gegen den souveränen Voscherau wirkt der stets braungebrannte CDU-Frontmann wie ein spätpubertierender Serienheld aus „Verbotene Liebe“.
Als Spitzenkandidat ist von Beust zwar unumstritten, doch mit seinen politischen und privaten Vorlieben in der CDU durchaus nicht everybody's darling. Der klassische Hanseat Voscherau, verheiratet, drei Kinder, mit seiner väterlich-autoritären Art ist viel mehr nach konservativem Geschmack. Ole von Beust hingegen singelt in einer 140-Quadratmeter-Wohnung im noblen Viertel Rothenbaum oder auf Sylt herum und denkt nicht daran, ein „Familienideologe“ zu werden. Das hört seine Partei als Schutzmacht der bedrohten Spezies Kleinfamilie überhaupt nicht gern. Aber, tröstet man sich, ein ungebundener Politiker hat ja auch viel mehr Zeit für die Partei. Und er ist ja auch so nett, der Ole. So locker. So frisch. Selbst Grüne mögen ihn. Genau das möchte der christdemokratische Herausforderer auch gern sein: ein Ole für alle.
Sein Blick schweift von der Elbe an den Main. Daß seine Parteikollegin Petra Roth es in Frankfurt mit einem überparteilich inszenierten Wahlkampf geschafft hat, Oberbürgermeisterin eines rot-grünen Stadtparlaments zu werden, hat ihm furchtbar imponiert. Vorsichtshalber legt er sich deshalb auch mit niemandem an, vor allem nicht in der eigenen Partei. Statt der CDU Leitlinien vorzugeben, versucht er, es allen recht zu machen. Er will „an den Gerechtigkeitssinn appellieren“ und sich „für den sozialen Ausgleich“ einsetzen. Denn nicht weil sein Vater Mitbegründer der Hamburger CDU war, sondern weil er nichts mehr haßt als ideologische Engstirnigkeiten, sei er in dieser Partei. „Toleranz und Liberalität“ habe er von zu Hause mitbekommen. Seine teils jüdische Familie sei von den Nazis verfolgt worden, erzählt er oft. Zu oft? „Es stimmt nicht, daß ich damit kokettiere“, sagt er. Er habe nur seine tiefe Abneigung gegen totalitäre Systeme erklären wollen.
Mit Liberalem aber kann man den bürgerlichen WählerInnen zur Zeit nicht kommen. Jedem Stadtteil eine Polizeistation, lautet deshalb Oles Wahlversprechen. 80 neue Wachen müßten her. Daß er das nicht einlösen kann, gestand er schon wenige Tage später ein. So schlimm sind derlei Mißgeschicke allerdings nun auch wieder nicht. Seine Christdemokraten erwarten nach fast einem halben Jahrhundert Opposition vor allem eines von ihm: Mit einer Großen Koalition soll Ole ihnen dazu verhelfen, den Mann zum Ersten Bürgermeister wählen zu können, den sie ohnhin für einen Konservativen mit dem falschen Parteibuch halten: Henning Voscherau.
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