: Polizei weist Mitschuld zurück
■ Bei der Sitzung des Innenausschusses zum Selbstmord der 24jährigen Polizistin Stefanie L. blieb die Polizeiführung dabei: Die 24jährige war psychisch krank. SEK-Einsatz in ihrer Wohnung verteidigt
Innensenator Jörg Schönbohm (CDU) und Polizeipräsident Hagen Saberschinsky haben gestern erneut jegliche Mitschuld von Beamten am Tod der 24jährigen Polizistin Stefanie L. von sich gewiesen. „Die Polizei hat alles getan, um der jungen Frau zu helfen, es jedoch nicht vermocht, sie vom letzten Schritt abzuhalten“, erklärte Schönbohm bei der zum Teil sehr erhitzten Debatte im parlamentarischen Innenauschuß. Stefanie L. sei „verhaltensauffällig“ gewesen, sprich: war psychisch krank. Mobbing habe es in ihrem Fall nicht gegeben.
Die Polizistin hatte sich, wie berichtet, am 20. Juli 1997 im Haus ihrer Eltern im bayerischen Straubing erschossen. Für ihre Familie steht fest, daß sie von Polizeikollegen „systematisch fertigemacht und in den Tod getrieben worden ist“. Auch die Bündnisgrünen sehen einen eindeutigen Zusammenhang zwischen Stefanie L.s Selbstmord und ihrer Behandlung durch Kollegen. „Ohne den SEK-Einsatz würde sie noch leben“, sagte gestern der rechtspolitische Sprecher der Grünen, Norbert Schellberg. Ein zehnköpfiges Sondereinsatzkommando (SEK) hatte am 9. April 1997 gegen 1.00 Uhr morgens die Wohnung der schlafenden Beamtin gestürmt, um diese in die Psychiatrie zu bringen. Die Ärztin des Krankenhauses hatte die Einweisung jedoch abgelehnt.
Polizeipräsident Saberschinsky verteidigte den SEK-Einsatz gestern damit, bei Stefanie L. habe Suizidgefahr bestanden. Außerdem sei nicht auszuschließen gewesen, daß „eine Gefährung dritter Personen“ bestand. Schließlich habe sich die zum damaligen Zeitpunkt krank geschriebene Frau heimlich aus einem Dienstcomputer die Privatanschrift ihres Abschnittsleiters besorgt und diesen zu Hause aufgesucht. „Es bestand die Möglichkeit, daß sie sich auch eine Dienstwaffe beschafft hatte“, so Saberschinsky. Auf Grund des „ganz bestimmten Krankheitsbildes“ der jungen Frau habe sich der Abschnittsleiter nach Rücksprache mit dem sozialwissenschaftlichen Dienst der Polizei dazu entschlossen, Stefanie L.s Wohnung „schnell und unaufällig durch SEK-Beamte öffnen zu lassen“.
Nachbarn hatten der taz von einem ohrenbetäubenden Lärm berichtet, als das SEK-Kommando Stefanie L.s Tür eintrat. Bündnisgrüne und PDS sprachen gestern von „bespielloser Unsensibilität“, daß eine „psychisch labile Person“ mitten in der Nacht von dem SEK aus dem Bett gerissen wird.
Der Polizeipräsident verweigerte weitere Auskünfte, weil es sich um ein laufendes Ermittlungsverfahren handelt. Stefanie L. hatte vor ihrem Tod gegen einige Beteiligte des SEK-Einsatzes Strafanzeige erstattet. Auch zum Hergang ihrer angeblichen „Krankengeschichte“ war aufgrund der fehlenden Schweigepflichtsentbindung der Ärzte durch die Eltern gestern nichts Näheres zu erfahren. Wie berichtet war die sehr ehrgeizige Polizistin nicht beliebt. Sie hatte zwei Kollegen angezeigt, die eine Einsatzübersicht gefälscht hatten, um Karten spielen zu können. Die Beamten waren daraufhin strafversetzt worden. Laut Saberschinsky äußerte sich „die Krankheit“ der jungen Frau darin, daß sie ihre Kollegen und Vorgesetzten ständig „rechtswidriger, fehlerhafter Tätigkeiten beschuldigte“ und sich auch mit vielen Bürgern angelegte. „Es gab zahlreiche Beschwerden.“
Bei der von Saberschinsky vor einigen Wochen eingesetzten Anti-Mobbing-Kommission in der Polizei sind inzwischen 12 Vorgänge eingegangen. Die Kommission wurde gestern vor allem von den Grünen, aber auch von SPD und PDS als unzureichend kritisiert, weil sie fast nur aus Polizeivertetern besteht. „Da wird der Bock zum Gärtner gemacht“, sagte der bündnisgrüne Abgeordnete Wolfgang Wieland. „Es war Mobbing, was sonst?“ steht für ihn fest. Er forderte die Ernennung eines unabhängigen Polizeibeauftragten als Vertrauensperson für die Betroffenen: „Es sind vor allem Frauen und ältere Kollegen, die nicht aus so harten Holz geschnitzt sind.“ Plutonia Plarre
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