: Müllmänner des Bewußtseins
■ Als „Trashpiloten“verwerten junge Literaten den mentalen Stoff und Abfall der 90er Jahre
Sie haben keine Botschaft. Sie wollen einem nichts sagen, sondern sich mitteilen. Sie sind die Müllmänner unserer Zeit: Nicht nach dem Sinn suchend, bearbeiten sie den Bewußtseinsabfall unserer Tage.
Heiner Link hat 44 junge Autoren in der Anthologie Trashpiloten versammelt, die mit dem Untertitel „Texte für die 90er“einen Querschnitt durch die Literatur außerhalb schöngeistig-verknöcherten Zirkel bietet. Die meisten Autoren sind weitestgehend unbekannt, einige veröffentlichen hier erstmals. Einzig der Bachmann-Preisträger Franzobel, der Musiker Funny van Dannen und die Journalisten Sybille Berg dürften einem breiterem Publikum bekannt sein.
Die Prosa verleitet, in Gedanken mitzusprechen, und das hat seinen Grund. Die verwendete Sprache ist kein gestelztes Literatendeutsch, sondern orientiert sich an der gesprochenen Alltagssprache, verwendet Slang, Dialekt und Gossenvokabular. Die Sätze sind sparsam kurz, haben den Rhythmus aus Videoclips übernommen. Die spielerische Lust an unreifen Reimen zeugt davon, wieweit Rap- und Popmusik in die modernen Literatur Einzug gehalten haben. Auch Bastian Böttcher, Sänger und Texter der Band Zentrifugal, hat einige seiner Texte in dem Buch veröffentlicht.
Die Darbietungsform von Literatur hat sich verändert. Nicht mehr in den Literaturhäusern und Buchhandlungen, sondern in Clubs wird sie vorgetragen. Poetry Slams, bei denen jeder, der möchte, vorlesen kann und das Publikum urteilt, werden immer populärer. Leider sind aber die Texte, die in Hinsicht auf einen Slam-Vortrag geschrieben wurden, beim einfachen Lesen oft nicht besonders spannend.
In Wirklichkeit sind die Trashpiloten Jäger und Sammler. Sie verarbeiten alles, was ihnen in die Hände gelangt, sammeln die selbsterlebten kleinen Geschichten, das Absurde und Groteske. Gleichzeitig jagen sie dem hinterher, wovon sie träumen: dem wahren Leben. Die Riege der Autoren, Schriftsteller und Dichter, die mit MTV und isotonischen Sportgetränken aufgewachsen ist, sieht Schönheit, Häßlichkeit und wilde Poesie in den Nichtigkeiten, dem Abfall der Konsumgesellschaft liegen. Die Texte sind sehr unterschiedlich und gefallen bestimmt nicht jedem, haben aber eins gemein: Sie sind für die 90er – wie der Titel eines Stücks von Bastian Böttcher – der Soundtrack zum Dasein.
Oliver Nachtwey
Buchpräsentation heute, 21 Uhr, Poets Lounge, Mojo Club.
„Trashpiloten“, Hrg. v. Heiner Link, Reclam, Leipzig 1997, 314 Seiten, 20 Mark
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