■ Kerstin Müller über den Angriff der jungen Grünen auf die Achtundsechziger und grüne Generationskonflikte: „Das sind doch selbst Politprofis“
taz: Unterschiedliche Flügel der jungen Grünen diskutieren seit zwei Wochen über Politik und den Staat des 21. Jahrhunderts. Die eine Gruppe kritisiert die Achtundsechziger in der Partei und fordert einen neuen Generationenvertrag, eine andere Gruppe wittert dahinter nur eine grüne Variante von Kohl und formuliert ein Gegenpapier. Die Partei sagt zu diesem Streit nichts. Warum?
Kerstin Müller: Das ist zunächst einmal eine Debatte der unter Dreißigjährigen selbst, und ich finde gut, daß es sie gibt. Unser Schweigen ist keineswegs inhaltlich begründet. Ich gehe davon aus, daß wichtige Forderungen der beiden Papiere, beispielsweise die nach einem neuen Generationenvertrag, in die Debatte der Partei eingehen werden.
Das klingt nicht gerade vielversprechend. Der Kindergarten streitet, und die Erzieher gucken zu, was passiert?
Das ist Quatsch. Wenn wir uns sofort einmischen würden, hieße es doch, die Alten – selbst ich mit 33 – wissen sowieso alles besser.
Trifft Sie der Vorwurf der jungen Grünen, die Achtundsechziger in der Partei seien satt und würden sich die Geschichten ihrer Revolte erzählen, statt den Fahrplan für den Machtwechsel 1998 zu entwerfen?
Mich persönlich trifft der Vorwurf überhaupt nicht, weil ich zur Nach-Achtundsechziger-Generation gehöre. Außerdem geht das Papier der Leute um Matthias Berninger gerade in diesem Punkt an den Realitäten vorbei. Wir haben es doch hier nicht mit aufbegehrenden jungen Leuten zu tun, die gegen die Achtundsechziger rebellieren müßten. Die meisten Verfasser haben politische Funktionen, einige sind Landtagsabgeordnete, Berninger sitzt im Bundestag – das sind Politprofis. Die Kritik an den Achtundsechzigern ist eine nette Vermarktungsidee, politische Sprengkraft hat sie nicht.
An wen in der Partei richtet sich dann die Kritik?
Ich weiß es nicht, die Analyse ist da nicht sehr tiefschürfend. 1998 müßten die Achtundsechziger die gesellschaftliche Realität einholen, lautet der Vorwurf, und einen Fahrplan für den Machtwechsel entwerfen – wer bei den Grünen bestreitet das denn ernsthaft? Diese Frage ist doch längst gegessen, das ist Konsens unter den Achtundsechzigern, den Achtundsiebzigern und unter wem noch immer. Die gesamte Partei arbeitet daran, daß es 1998 einen Wechsel zu Rot-Grün gibt.
Daniel Cohn-Bendit meint, daß sich der Vorwurf der jungen Grünen an den Mittelbau der Partei richte, der in der Mehrheit nicht begriffen hätte, welche historische Auseinandersetzung mit der Bundestagswahl 1998 ansteht.
Das ist absurd. Ich weiß nicht, womit Cohn-Bendit das belegen will. Ob Basis, Mittelbau oder Parteiführung – alle haben kapiert, daß es 1998 um eine historische Chance geht: Kohl muß weg.
Cohn-Bendit sagt, viele Grüne hätten Schwierigkeiten mit dem anstehenden Paradigmenwechsel: sie würden die Welt immer noch so sehen, wie sie sie gerne hätten. Jetzt gehe es für die Grünen aber darum, sich den Realitäten zu stellen.
Natürlich müssen wir uns den Realitäten stellen. Das darf aber nicht dazu führen, daß sich die Grünen opportunistisch um der Macht willen anpassen. Wer zum Beispiel die Debatte über die Innere Sicherheit ernst nimmt, muß noch lange nicht bei Schröder und seinen populistischen Law-and-order-Sprüchen landen. Wir haben da viel bessere und realitätstüchtigere Antworten.
Wächst da bei den Grünen eine neue Generation heran, die für die neue Unübersichtlichkeit steht und ganz pragmatisch Politik machen will, jenseits der alten Lager?
Jenseits der alten Lager ist gut – im Moment sieht es ja eher so aus, als würde unter den jungen Grünen die alte Strömungsdebatte der Partei wiederbelebt.
Bei den inhaltlichen Fragen wird doch aber deutlich, daß klassische grüne Themen wie Ökologie oder Einwanderungspolitik keine so große Rolle spielen wie Bildung oder Arbeit.
Natürlich. Die Nach-Achtundsechziger-Generation ist anders geprägt worden als die der Alt- Achtundsechziger. Die Angst, keinen Ausbildungs- oder Arbeitsplatz zu bekommen, ist um ein Vielfaches größer als früher, das Rentenproblem von heute wird auf Kosten der jungen Generation in die Zukunft verschoben, die öffentlichen Haushalte sind bis zum Gehtnichtmehr verschuldet, die ökologische Frage wird von der ökonomischen wieder verdrängt – die jungen Leute heute sind in viel verschärfterer Form mit ganz anderen Problemen konfrontiert als die Achtundsechziger damals. Das zu formulieren und in die Debatte der Partei einzubringen ist nicht nur berechtigt, sondern auch wichtig. Das heißt aber noch lange nicht, daß Ökologie kein Thema mehr für die jüngeren Leute ist. Das steht so nicht in den Diskussionspapieren, und das besagen auch die Meinungsumfragen nicht. Bei den unter Zwanzigjährigen ist Ökologie das Problem Nummer eins, noch vor der Angst vor Arbeitslosigkeit.
Wie bewerten Sie die politischen Vorschläge, die die jungen Grünen in den Papieren machen?
Die sind leider zum Teil nicht wirklich durchdacht oder bereits von der Partei oder der Bundestagsfraktion beschlossen. Etwa die Abschaffung des Berufsbeamtentums, ökologische Steuerreform, Europa muß mehr sein als der Euro – diese Forderungen der jungen Grünen sind doch in der Partei unstrittig. In der Arbeitsmarktpolitik wird „den Achtundsechzigern“ vorgeworfen, sie würden nur auf das Patentrezept Arbeitszeitverkürzung setzen. Die Partei ist da viel weiter. Wir setzen auf eine breite Palette von Maßnahmen zur Schaffung von Arbeitsplätzen – von Zukunftstechnologien über Mittelstandsförderung bis hin zur Arbeitszeitverkürzung. An einigen Punkten der beiden Papiere wird einfach nur ein Pappkamerad aufgebaut.
Einige Vorschläge in dem Papier der Gruppe um Matthias Berninger spiegeln einen liberalen Individualismus wider, den man von Ulrich Beck kennt, aber nicht selbstverständlich von den Grünen. Da wird nicht gleich nach dem Staat gerufen, sondern auch mehr Eigenverantwortung und Leistung gefordert. Steckt dahinter nicht der Generationenkonflikt der Partei – daß viele junge Leute mit dem traditionellen grünen Milieu nichts mehr am Hut haben?
Die Grünen waren doch immer schon ausgeprägte Individualisten. Das hat sich auch stets in unseren Konzepten niedergeschlagen. Staatsfixiertheit ist das traditionelle Markenzeichen der SPD – nicht der Grünen. Interview: Jens König
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen