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Pariaballade

■ Kein Blues: Ulrike Ottingers Film über jüdische Immigranten in Shanghai

Ähnlich wie Tanger oder Casablanca muß man sich das Shanghai der dreißiger Jahre wohl als eine Art unbegreifliches Exterritorium vorstellen. Wer eine Handelskonzession für ein Viertel besaß – ob Briten, Franzosen, Japaner oder Italiener –, der machte die Gesetze, mit eigener Polizei und eigener Justiz. Von der Avenue Pétain bog man in die Via Garibaldi, mit einem entsprechend scharfem Schwenk in den Verhaltensmaßregeln. Es gab Gaullisten, englische Kolonialisten, chinesische Kommunisten, Nazis, Roosevelt-Anhänger. In drei großen Wellen gab es außerdem eine jüdische Immigration: zuerst kamen sephardische Juden aus Indien, im 19. Jahrhundert, die zum Teil unter britischer Hoheit Opiumhandel trieben. Später dann die Aschkenasim: vor den russischen Pogromen geflohene, zum Teil wohlhabende Leute, dann schließlich in den dreißiger Jahren die vor Nazideutschland Geflohenen, die nur zehn Reichsmark hatten mitnehmen dürfen.

Ulrike Ottinger hat sechs dieser Immigranten in San Francisco aufgespürt, ihrem zweiten Exil, das die Erzählungen vom ersten vielleicht mit dieser Milde und der schönen amerikanischen Balladenform ausgestattet hat. „Mein Vater und ich gingen 38 aus dem Haus, weil wir Angst vor den Hausdurchsuchungen in der Kristallnacht hatten. Dann sind wir 24 Stunden lang Bahn gefahren, haben alle zwei Stunden das Abteil gewechselt [...]. Meine Mutter besorgte dann Tickets, nach irgendwohin – Shanghai, wie sich herausstellte.“

In Shanghai wurde kein Visum, keine Bürgschaft und kein Affidavit verlangt, wie sonst überall. „Als wir in den Hafen einfuhren“, erzählt Theodore Alexander, „sagte meine Mutter zu mir: Kiek ma, da sind Hochhäuser, da wirste doch paar Mark verdienen können.“ In kürzester Zeit, zum Teil innerhalb von Wochen, entstanden aus diesem Nichts kleine Duplikate des Gewohnten: „Vormals Buchhandlung Olivaer Platz“ stand auf dem Schaufenster, oder „Knack im Frack“. Ein gewisser Herr Storfer, ehemals Leiter eines psychoanalytischen Verlags in Wien, gab „Die gelbe Post“ heraus, mit Artikeln über „Hygiene des Geschlechtslebens“, „Verteidigung der chinesischen Sprache“ oder einem Essay von Sigmund Freud über den Antisemitismus. Die sephardischen Juden, reiche Familien wie die Sassoons, unterstützten die Nachgekommen und lernten ihre Tänze. Man richtete wegen der Enge des Ghettos Stundenhotels ein. Und: „Der alte Brauch wird nicht gebrochen/ hier können Familien Kaffee kochen.“

Ottinger beantwortet die Erzählungen mit Aufnahmen aus dem heutigen Shanghai. Im Gegensatz zu ähnlichen Filmen wird die Gegenwart dabei nicht gegen die Vergangenheit ausgespielt; wird im Off von einer Hochzeit gesprochen, sieht man, wie eine chinesische Braut geschmückt und fotografiert wird; dazu erklingt möglicherweise eine Schellack-Platte mit der chinesischen Adaption eines europäischen Schlagers. Daß heute Bäckereien mit Brezeln als chinesische Spezialität betrachtet werden, liegt an der nichtexistenten Kulturgeschichtsschreibung in China; Parteipresse ist die einzige Quelle, und warum sollten die jüdischen Immigranten Tribut zollen?

Hannah Arendts Beschreibung jüdischer Marginalisierung am Beispiel des Paria und des Parvenüs wird hier nicht nachvollzogen: Daß es den ehemaligen Parias immer besser gegangen ist, und daß sie sich irgendwann geschmeidig durch ihre neuen Gesellschaften bewegen konnten, wird hier nicht als Korruption gelesen. Mariam Lau

„Exil Shanghai“. Deutschland/Israel 1997. Regie: Ulrike Ottinger

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