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Tatbestand: „Pflanzliches Wachstum erzielt“

■ Unklar, aber wahr: Das Gießen von Nutzhanfpflanzen ohne entsprechende Genehmigung ist ein Vergehen, das gegen das Betäubungsmittelgesetz verstößt und Geldstrafen zur Folge hat

Was ist eigentlich ein Betäubungsmittel? Hanf mit mehr als 0,3 Prozent Tetrahydrocannabinol (THC) fällt darunter. Wie viele es schaffen, davon betäubt zu werden, wäre eine andere Frage. Aber kommt es darauf überhaupt an? Auch wer in Deutschland Hanf mit niedrigerem Gehalt anbaute, konnte bis vor anderthalb Jahren ein Betäubungsmittel sein eigen nennen. Die Hanfpflanze auf dem Felde des Bauern mit nur 0,2 Prozent THC ist kein Betäubungsmittel. Der Ableger, den der Spaziergänger zu Hause eintopft, auch nicht – aber wehe, wenn er ihn das erste Mal gießt! Hat er etwa mit Wasser den THC-Gehalt gesteigert? Nein, die Pfade der Justiz sind verschlungener.

Der Landwirt hat, so er ein korrekter deutscher Bauersmann ist, eine Genehmigung eingeholt, bei der Bundesanstalt für Ernährung und Landwirtschaft (BLE) in Frankfurt am Main. Der Spaziergänger hat keine. Auch wenn er eine beantragte, würde er sie nicht bekommen. Denn er führt – in aller Regel – kein Unternehmen der Landwirtschaft, im Sinne des „Gesetzes über die Alterssicherung der Landwirte“. Oder er ist doch einer, scheitert aber am Kleingedruckten. Wenn der Hof nicht groß genug ist, gibt die BLE kein grünes Licht. Wenn schon den Hanfanbau freigeben, dann möglichst begrenzt.

Einer, der die Genehmigung bekommen hat, ist Alfredo Dupetit. Bei seiner Firma in Richelbach bei Aschaffenburg gibt es Cannabis- Pflanzen zu kaufen. Mißbrauch zu Rauschzwecken ist schließlich ausgeschlossen, und Hanf ist heute als umweltfreundlicher Rohstoff bekannt. Thomas Nißlmüller wiederum wollte die Produkte seines Hanfladens, bezogen von Dupetit, popularisieren: Einige Pflanzkübel stellte vor seinem Laden auf die Bahnhofstraße in Ingelheim bei Mainz. Außerdem bot er der Stadtverwaltung THC-freie Hanfpflanzen als Spende an. Die Verwaltung der aufstrebenden rheinhessischen Kreisstadt (20.000 EinwohnerInnen) stellte Anfang August letzten Jahres tatsächlich Grünanlagen zur Verfügung, unter anderem auf dem Rathausplatz. „Ungefähr drei bis vier Tage“, so Nißlmüller, standen dort die feinblättrigen Pflanzen in städtischer Obhut. „Wir waren gerade dabei, von einer Schreinerei Schilder anfertigen zu lassen“, erinnert er sich. Die Tafeln wurden dann nicht mehr aufgestellt, denn die Pflanzen wurden von der Polizei beschlagnahmt. „Anbau von Betäubungsmitteln“ legten die Beamten Nißlmüller zur Last – und nahmen alle Stücke aus dem Laden und den städtischen Anlagen mit. Ja, gegossen habe er die Pflanzen im Laden, gab Nißlmüller bei einer Befragung freimütig zu. „Das war die Falle“, sagt er heute. Das Gießen der Pflanzen beweist, daß man „durch gärtnerische Maßnahmen und Pflege pflanzliches Wachstum erzielt“. So ging die herrschende juristische Lesart, und damit ist der Tatbestand des Anbaus erfüllt. Folgen für Nißlmüller: 600 Mark Geldstrafe plus Gebühren, Zustellungskosten und polizeiliche Auslagen, in der Folge geschäftliche Probleme, die ihn im letzten Winter zu einer Verkleinerung des Angebots zwangen. Matthias Fink

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