piwik no script img

■ Die Deutschtürken sollen in der Türkei wählen könnenEin Schritt ins Ghetto

Wenn der neue türkische Ministerpräsident in der kommenden Woche nach Bonn kommt, wird er – einem guten alten türkischen Brauch folgend – Gastgeschenke im Gepäck haben. Eines davon hat er schon vorab verkündet. Die drei Millionen türkischen Staatsangehörigen in Europa sollen endlich wählen dürfen – nein, nicht den Bundestag, sondern das türkische Parlament in Ankara. Zukünftig werden Abgeordnete aus Europa den Wählerwillen der Auslandstürken repräsentieren.

Yilmaz kommt damit einer langjährigen Forderung türkischer Lobbyisten im Ausland nach, der Beifall der türkischen Öffentlichkeit ist ihm sicher. Bei den letzten Wahlen 1995 scheiterte die durch eine Verfassungsänderung ermöglichte Teilhabe noch an organisatorischen Hürden. Auch an deutschen Sicherheitsbedenken und der Befürchtung, daß es ausgerechnet am Heiligen Abend Krawalle vor den Konsulaten geben könnte. Und erst jüngst stieß der Versuch der türkischen Regierung, den Ruf nach politischer Repräsentanz durch die Installation eines „Rates der Auslandstürken“ zu befrieden, auf breite Ablehnung.

Nun soll gewählt werden, per Brief. Für viele lange hier lebende oder gar geborene Türken wird es das erste Mal sein, daß sie ihren Stimmzettel abgeben. Sei es ihnen gegönnt. Doch das Mitbringsel von Yilmaz ist ein Danaer-Geschenk für die hiesige Gesellschaft. Man muß gar keine Schreckensbilder von rivalisierenden Gruppen zeichnen, die gewaltsam innertürkische Querelen nun in deutschen Landen austragen. Aber der anatolische Wahlkampf wird von nun an eben auch in den deutsch-türkischen Teehäusern stattfinden. Daß diese die Lösung ihrer Probleme in Ankara finden, damit ist kaum zu rechnen.

Die Auseinandersetzung um die türkische Innenpolitik wird die Türken hier noch einen Schritt weiter ins Ghetto treiben. Nötig ist vielmehr die Auseinandersetzung mit der deutschen Innenpolitik, nötig ist ein Wahlrecht hier. Der Ruf „Ankara! erklingt auch, weil der Ruf nach politischen Rechten in Bonn jahrzehntelang unerhört blieb. Hier ist es an der Bundesregierung, endlich ein Zeichen zu setzen. Ein Antrag mehrerer rot-grüner Länder für eine Grundgesetzänderung, die auch Drittstaatlern zumindest das kommunale Wahlrecht gewährt, ist derzeit im Bundesrat anhängig. Seine Umsetzung wäre die passende Antwort auf Yilmaz' Geschenk. Cem Özdemir

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen