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■ Das Ingenieursstudium zählt zu den letzten Männerreservaten. Doch seit vermehrt der technische Nachwuchs ausbleibt, wird der Druck immer größer, diese Fächer auch für Frauen interessanter zu gestalten Von Julia FörsterDringend gesucht: Ingenieurinnen

Ein einstmals stolzer Berufszweig steckt in der Krise. Die Anfängerzahlen bei den Ingenieurswissenschaften gehen rapide zurück. Der Verband der Elektrotechniker sieht bereits den „Standort Deutschland“ in Gefahr. Angst müssen auch die Professoren haben: Denn ohne StudentInnen wird ihnen der Geldhahn zugedreht.

Schaffen sie die Acht-Prozent-Hürde? Oder werden sie wieder in der Bedeutungslosigkeit versinken? Einige Jahre wird es noch brauchen, bis aktuelle Zahlen aus dem Statistischen Bundesamt kommagenau belegen, wie viele Frauen sich in diesem Wintersemester aufmachen werden, sich mit Elektrotechnik oder Maschinenbau zu beschäftigen. Eins jedoch ist schon jetzt gewiß: Angehende Ingenieurinnen werden auch in diesem Semester die Ausnahme bleiben.

Die Zahlen vergangener Jahre könnten deutlicher nicht sein: Unter den rund 385.000 Studierenden, die im Wintersemester 1995/96 an deutschen Hoch- und Fachhochschulen in E-Technik und Maschinenbau eingeschrieben waren, gab es lediglich 28.000 Studentinnen.

Auch die neuen Bundesländer geben längst keinen Anlaß mehr, optimistisch in die Zukunft zu blicken. Das ehemals fast emanzipierte Geschlechterverhältnis in der Technik paßt sich den Gebräuchen in den alten Ländern an. So liegt der Studentinnenanteil in der E-Technik an der Technischen Universität Dresden bei mageren fünf Prozent. Daß man Professorinnen in diesem Bereich nur vereinzelt findet, wird als zwar bedauerliche, aber scheinbar unverrückbare Tatsache hingenommen.

Frauen in Ingenieursstudiengängen werden nicht ernstgenommen. Schauplatz: Verfahrenstechnik. Als der Professor einst nach einer angeregten Fragestunde vor der Klausur freundlich fragte, ob denn nun „die Damen“ vielleicht noch Fragen hätten, konnte die einzige angehende Ingenieurin darüber noch lachen. Die Heiterkeit verging ihr, als sie vom Schicksal einer befreundeten Absolventin erfuhr, die mit ihren Leistungen die meisten ihrer männlichen Kollegen hinter sich ließ, aber im Gegensatz zu ihnen keinen Job fand.

Die Verfahrenstechnikerin fragte schließlich einmal nach, weshalb sie den ersehnten Arbeitsplatz nicht bekommen hat. Unverblümt bekam sie den wahren Grund der Ablehnung zu hören: Sie sei ja nun mal eine Frau. Kein Wunder also, daß sich der Verband Deutscher Elektrotechniker (VDE) über den Frauenmangel beklagt: 35.000 Mitglieder sind bei dem Berufsverband eingetragen, nur 600 davon sind Frauen.

Über die Gründe für dieses Mißverhältnis schweigen sich die Standesorganisationen aus. Was war zuerst da? Das „frauenunfreundliche“ Studium, das Frauen abschreckte? Oder fehlten Studentinnen, so daß die Fachgebiete nach männlichen Vorstellungen gestaltet wurden? Der Streit ist offen, aber übersehen wird nach wie vor, daß die Kontroverse eine deutsche Komponente enthält: „Seit Ende der siebziger Jahre hat sich beim Studentinnenanteil im Maschinenbau und in der E-Technik keine wesentliche Änderung ergeben. Damit bilden die alten Bundesländer das Schlußlicht in Europa“, schreiben Moniko Greif und Kira Stein in dem von ihnen herausgegebenen Buch „Ingenieurinnen“ (Talheimer Verlag, 1996).

Beide sind promovierte Maschinenbauingenieurinnen und wissen, wovon sie reden. Zur Frage, warum es nun gerade in Deutschland so wenige Ingenieurinnen gibt, hatte Kira Stein mit der Psychologin Janitha Molvaer einen interkulturellen Vergleich gestartet.

„Ingenieurin – warum nicht?“ (Campus-Verlag, 1994) heißt das Ergebnis. Der Vergleich zwischen den neuen und alten Bundesländern und Griechenland, zwischen Studentinnen und Studenten der Richtungen Maschinenbau und Psychologie bringt Ernüchterndes ans Tageslicht. Neben den bekannten Ursachen, daß etwa die Frauen überall durch Partner und Familie eher zusätzlich belastet, die Männer eher entlastet werden, gibt es einen spezifischen Grund: Die gerade für die alten Bundesländer bestätigte Verbindung von männlichen Rollenklischees und dem Berufsbild des Ingenieurs. Mit anderen Worten: Einen fähigen und zugleich weiblichen Ingenieur gibt es nicht – zumindest nicht in deutschen Köpfen. Da erstaunt es nicht, daß Abiturientinnen die technischen Fächer meiden. Man wundert sich allerdings, wie resistent konservative Rollenbilder doch sind – trotz aller verbalen Gleichberechtigungsbezeugungen.

Der Druck auf eines der letzten Männerreservate wird nun größer. Der Grund: Es fehlt in absehbarer Zeit an technisch qualifiziertem Nachwuchs. In den letzten sechs Jahren haben sich die Anfängerzahlen im E-Technik-Studium halbiert. Und die Einsicht, daß das Studium mit der veränderten Berufsrealität nicht mehr das meiste gemeinsam hat, verbreitet sich. Die Industrie, der Bund und die Professoren geben sich interessiert, das Studium attraktiver zu gestalten.

Verschiedene Einrichtungen bemühen sich darum. Die Zentraleinrichtung Kooperation an der TU Berlin legte im Frühjahr den Abschlußbericht „Innovative Studienmodelle in der Ingenieurausbildung“ vor. Sieben Leitbilder werden dort erarbeitet. Neben der Forderung, interdisziplinärer und praxisnäher zu lehren und zu lernen, heißt es dort auch: „Das Ziel sollte sein, die strukturell bedingte Marginalisierung von Frauen in den Ingenieurswissenschaften zu überwinden und dabei spezifisch von Frauen entwickelte Herangehensweisen, Sichtweisen und Fragestellungen im Studium und in technische Lösungsansätze einzubauen.“

Wie das in die Tat umgesetzt aussehen könnte, zeigt ein Modellversuch an der Fachhochschule Bielefeld. Dazu gehört ein Werkstoffkundepraktikum, das nach den Wünschen der Studentinnen verändert wurde. Jetzt wird dort ein „echter“ Schadensfall aus der Praxis geprüft, anstatt allein Trockenübungen zu veranstalten.

Ob auf diese Weise das Vorurteil von der attraktiven oder fähigen Ingenieurin verschwindet, ist ungewiß. Vielleicht schätzen es Frauen, daß mann endlich mal nach ihren Wünschen fragt. Und wenn irgendwann genug von ihnen studieren, ändert sich das Studium hoffentlich von selbst in die gewünschte Richtung. Nur so kann es funktionieren. Denn konservative Rollenbilder halten sich zäh. Ohne die kompetente weibliche Realität vor Augen, wird sich da wohl nichts tun.

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