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Über die jüdisch-arabische Wirklichkeit

Der sogenannte Friedensprozeß im Nahen Osten ist wieder einmal ins Stocken geraten, und die Zeichen stehen auf Sturm. Fünf neue Bücher beschäftigen sich mit der Frage, ob überhaupt und unter welchen Voraussetzungen Hoffnung dennoch möglich ist  ■ Von Ludwig Watzal

Im Nahen Osten stehen die Zeichen auf Krieg. Paradoxerweise gibt es dort aber einen „Friedensprozeß“, den man in Ermangelung eines besseres Bergiffes als einen solchen bezeichnet. Der Prozeß hat aber wenig mit Frieden zu tun, sondern viel mit Unterdrückung. Dieser Unterdrückungsprozeß von seiten Israels trägt tragikomische Züge von palästinensischer Selbstunterwerfung. Obwohl die USA gerade wieder einmal versuchen, diesem „Friedensprozeß“ eine Sauerstoffzufuhr zu verabreichen, kann man einen Toten nicht wiederbeleben. Diese Einsicht ist Bassam Tibi fremd. Mit seinem neuesten Buch will er einen „Beitrag zum Verständnis des Friedens im Nahen Osten aus arabischer Perspektive“ leisten. Nach der Lektüre des Werkes fragt man sich verwundert: zu welchem Frieden, bitte?

Dieser „Friedensprozeß“ produzierte in diesem Herbst eine Fülle von Publikationen unterschiedlicher Qualität. So gehört Bassam Tibi, Professor für Internationale Politik in Göttingen, zu denjenigen Kennern des Islam und der arabischen Welt, die eigentlich eine realistische Bestandsaufnahme hätten vorlegen müssen. Dem ansonsten renommierten Autor gelingt dies aber nur sehr eingeschränkt.

Bassam Tibi vertritt in seinem Buch die gängige Ansicht, daß unter dem „Friedenspolitiker“ Jitzhak Rabin und Schimon Peres der Friedensprozeß in guten Händen war, aber mit Benjamin Netanjahu das Übel begann. Richtig ist, daß Netanjahu den Prozeß endgültig abwürgte, aber für die chaotischen Zustände vor Ort sind die von Rabin und Peres ausgehandelten Verträge verantwortlich. Die Bantustanisierung der Gebiete wurde vertraglich festgeschrieben. Daß Netanjahu jetzt auf Vollzug pocht, ist sein legitimes Recht. Zu den Legenden über den „Friedenspolitiker“ Rabin gehört auch, daß er bereit war, den Palästinensern einen eigenen Staat oder Souveränität zu geben, wie Tibi auch behauptet. Aber dies haben Rabin und Peres niemals öffentlich erklärt, ebensowenig Netanjahu. Einen Palästinenserstaat hat es nur in der Wunschwelt Arafats und seines Anhanges gegeben. Wenn die Palästinenser ihre „Inselwelt“ Staat nennen wollen, können sie dies tun, erkärte Rabins Umweltminister Yossi Sarid. Daß die Siedlungspolitik unter Netanjahu nur weitergehe und dies die Fundamentalisten stärke, wie der Autor behauptet, bedarf der Korrektur. In den vier Jahren der Rabin-Regierung wurde die Zahl der Siedler in den besetzten Gebieten verdoppelt. Sie wurden mit Geldern überhäuft. Man baute ihnen ein separates Straßensystem, die Enteignung palästinensischen Landes erreichte nicht gekannte Ausmaße. Die drei „Nein“ von Netanjahu waren auch die drei „Nein“ von Rabin: zum Palästinastaat, zur Teilung Jerusalems und zum Rückzug vom Golan. Daß Tibi dies aus seiner „arabischen Perspektive“ nicht wahrnimmt, ist bedauerlich.

Daneben unterlaufen dem Autor eine Fülle von Unkorrektheiten. So war die Siedlungspolitik unter Rabin nicht „weitgehend“ eingestellt. Vom Attentäter Baruch Goldstein wurden nicht 50 betende Muslime in der Ibrahimi- Moschee in Hebron erschossen, sondern „nur“ 29. Die israelischen Soldaten erschossen nochmals die gleiche Anzahl bei den sich daraufhin ausbreitenden Unruhen in der Stadt. Selbst die Dokumente bringt der Wissenschaftler durcheinander: So wurde der 450 Seiten starke „Autonomievertrag“ nicht am 4. Mai 1994 in Kairo, sondern das besagte „Interimabkommen“ wurde am 28. September 1995 in Taba unterzeichnet. Geradezu abwegig ist seine Behauptung, daß viele der Mitarbeiter Arafats nach seiner Israel-Anerkennung von Hamas-Kommandos ermordet worden seien. Ist Tibi unbekannt, daß der israelische Geheimdienst fast die ganze Führungsschicht um Arafat auf Befehl der verschiedenen Ministerpräsidenten Israels liquidiert hat?

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Ein sehr bemerkenswertes Buch ist hingegen dem Spiegel-Redakteur Adel S. Elias gelungen, der in sechs Kapiteln eine überaus realistische Analyse des „Friedensprozesses“ und der israelischen Expansionspolitik liefert. „Seit den Friedensverhandlungen von Oslo sind die Palästinenser weiter denn je von ihrem großen Ziel, einem eigenen, souveränen und unabhängigen Staat, entfernt.“ Die israelische Seite habe von Anfang an beabsichtigt, die jüdischen Ansprüche auf Palästina zu zementieren. Oslo habe die zionistische Idee von „Erez Israel“ (Land Israel) in seinen religiös-historischen Grenzen einen entscheidenden Schritt näher gebracht, so Elias. Die weltweite Euphorie sei völlig unberechtigt gewesen, weil weder das Selbstbestimmungsrecht der Palästinenser, ihre staatliche Existenz, noch die Rückkehr der Flüchtlinge sowie die Entschädigungen angesprochen worden seien. „Seit dem Machtwechsel in Israel im Mai 1996 steuert der Nahe Osten wieder direkt auf eine militärische Konfrontation zwischen Israel und seinen arabischen Nachbarn zu.“

Spannend zu lesen ist das Kapitel über die stümperhafte Verhandlungsstrategie der Palästinenser. Es gehört zum politischen Geschäft, daß man andere Akteure im Regen stehen läßt, wie dies Arafat mit der palästinensischen Verhandlungsdelegation in Washington getan hat, als er seine „Geheimconnection“ zu Israel aufbaute. Wie perfide Arafat dabei agierte, zeigt, daß er drei Mitglieder der Delegation als Agenten der CIA und Marionetten Israels hochgehen lassen wollte, wenn sie sich ihm nicht beugten. Die Palästinenser haben sich in einer Art und Weise über den Tisch ziehen lassen, daß man es fast nicht glauben kann. Sie erschienen sie ohne Karten, so daß die Israelis ihnen Einblicke gewähren mußten über das Gebiet, das zur Verhandlung anstand. Jeder Schritt mußte telefonisch mit Arafat abgestimmt werden, so daß die Geheimdienste mithören konnte. „Der PLO-Vorsitzende wähnte die palästinensischen Interessen bei seinen drei völlig überforderten Unterhändlern nach wie vor in den besten Händen.“ Daß auch der israelische Geheimdienst Mossad über alle Schritte informiert war, dafür sorgte der palästinensische Agent Adnan Yassin in PLO-Hauptquartier in Tunis.

In zwei Kapiteln beschreibt Elias den islamischen und jüdischen Fundamentalismus. So sieht der Autor keinen fundamentalen Unterschied zwischen den gesellschaftspolitischen Forderungen der Islamisten von heute und den säkularen Nationalisten der fünfziger bis siebziger Jahre. Er beschreibt neben der Historie auch die Genese des palästinensischen Widerstandes. Der Widerstand der Islamisten speiste sich auch aus der Tatsache, daß die PLO durch die Abkommen 97 Prozent des palästinensischen Landes direkt oder indirekt der Kontrolle Israels übereignete. „Solange unser Boden besetzt ist, haben wir das Recht, gegen die Besatzer Widerstand zu leisten“, so Scheich Schakaki, den der Mossad auf Malta liquidierte.

Wie gefährlich auch der jüdische Fundamentalismus und Rechtsextremismus geworden ist, wird im – glänzenden – vierten Kapitel ausführlich dargestellt. Der Autor stellt nicht nur alle israelischen Rechtsparteien und deren Ideologie vor, sondern er beschreibt auch die Kräfte, die den jüdischen Fundamentalismus organisatorisch und ideologisch tragen. Deutlich wird, daß alle israelischen Regierungen gegenüber den Extremisten beide Augen zugedrückt haben.

Elias gibt nicht vor, aus einer „arabischen Perspektive“ zu schreiben. Seine Position ist von der Tatsache, daß er Libanese ist, unberührt. Er übt Kritik, wo sie angebracht ist, ohne sich, wie Bassam Tibi es permanent tut, bei seinen „jüdischen Freunden“ hundertfach abzusichern. Das Buch ist überaus informativ. Es kommt nicht prätentiös daher, sondern läßt sehr überzeugend die Fakten sprechen.

Norman Finkelstein gehört zu denjenigen Wissenschaftlern, die nach ihrem Ethos handeln. Seine Untersuchungen über die Tragödie des palästinensischen Volkes haben ihm den Zorn der amerikanisch-jüdischen Lobby eingetragen. Er hat es gewagt, Daniel J. Goldhagens Buch über „Hitlers willige Vollstrecker“ als ein „Nicht-Buch“ zu bezeichnen. Seinem Erstlingswerk, „Image and Reality of the Israel-Palestine Conflict“, folgen nun seine persönlichen Erfahrungen mit den Palästinensern, die er während seines Aufenthalts in den Jahren der Intifada in Palästina gesammelt hat. Dabei wird immer wieder deutlich, in welcher Zwangslage sich der amerikanische Jude, dessen Eltern dem Naziterror entronnen sind, befunden hat. Er mußte auch immer gegen die kollektiven Vorurteile der Palästinenser gegenüber „den Juden“ ankämpfen. Finkelstein stellt eine christliche Familie aus Bet Sahour und eine muslimische aus einem Flüchtlingslager in der Nähe von Hebron vor. Es besteht kein Zweifel, auf wessen Seite er steht. Trotzdem bemüht er sich um Objektivität. Er macht keinen Hehl aus seiner Ablehnung des Osloer „Friedensprozesses“, der die Palästinenser in ein Reservat verdammt. In diesem Zusammenhang sind seine Ausführungen über die Ähnlichkeit der Behandlung der amerikanischen Indianer durch die Weißen und die Behandlung der Palästinenser durch die Zionisten frappierend.

Auch seine anfänglichen Irritationen über den palästinensischen Applaus des Scud-Raketenangriffs auf Israel im Golfkrieg erscheint in einem differenzierten Licht, wenn man die Aussagen des israelischen Regierungssprechers danebenstellt. „Die Reaktion Israels war enthusiastisch. Der israelische Regierungssprecher drängte Präsident Bush, keine Gnade mit Saddam zu haben.“ Als Fazit stellt Finkelstein fest, daß „die israelische Haltung der verletzten Unschuld während des irakischen Luftangriffs pure Heuchelei war“. Finkelsteins Ausführungen sind detailliert belegt und kritisch. Seine Rolle als Zeitzeuge hat er überzeugend dokumentiert.

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Daß der Nahostkonflikt nur überwunden werden kann, wenn viel Verständnis von beiden Seiten aufgebracht wird, zeigt das Gespräch der beiden Schriftsteller Emil Habibi und Yoram Kaniuk. Beide sind seit den achtziger Jahren in einem israelisch-palästinensischen Komitee engagiert, das als Forum für einen Dialog dient. Habibi – ein „pessimistischer Optimist“ und „atheistischer Gläubiger“ – gehört zu den wenigen Palästinensern, die seit Beginn der Staatsgründung Israels für die Anerkennung eintraten, was ihm viele Feinde bescherte. Für ihn war es eine Selbstverständlichkeit, daß beide Kulturen von „derselben Mutter geboren“ wurden. Trotz des vielfachen Unrechts verlangt er nicht, „daß man uns um Verzeihung bittet. Aber es ist unser Recht zu verlangen, daß man die Vergangenheit weder verschweigt noch verfälscht.“ In seinem berühmten Roman „Der Peptimist“ verlangte er, daß in Palästina doch mehr Platz für die Palästinenser sein sollte als nur auf der „Spitze des Pfahls“.

Für Yoram Kaniuk wäre eine Aussöhnung leichter, „wenn es uns gelänge, hinter dem Feind den Menschen zu sehen“. Kaniuk plädiert für einen binationalen Staat. Dazu bedürfe es aber des Bewußtseins der Gemeinsamkeit. Ein solches Gefühl „ist der Schlüssel unserer ganzen Geschichte“. Diese Gemeinsamkeit wurde auch von linken Schriftstellern heftig attackiert, die sich sogar dazu verstiegen, Kaniuk Anbiederung an die Araber und offenen Antisemitismus zu unterstellen. Kaniuk beschönigt die Behandlung der Palästinenser durch Israel nicht. Was er aber verteidigt, ist das Rückkehrgesetz, das jedem Juden die Möglichkeit bietet, jederzeit nach Israel zu kommen. Dieses Gesetz diskriminiert alle Nichtjuden. Aber er will es nach der Holocaust-Erfahrung in Kraft wissen: „trotz seiner stark rassistischen Züge“.

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Für ein gelebtes Beispiel vonVersöhnung und Verständnis legt die Autobiographie von Gideon Weigert Zeugnis ab. Der Autor wurde als Sohn eines reichen zionistischen Fabrikanten in Hamburg geboren. Er emigrierte nach Palästina und entschloß sich, in die arabische Kultur einzutauchen. Weigert lebte in arabischen Familien in Haifa und Jerusalem, die ihn wie einen Sohn aufnahmen. Er lernte arabisch, lebte arabisch, wurde einer von ihnen. Der Autor graduierte am renommierten Kolleg al Nahda in Jerusalem. Schon Anfang der vierziger Jahre erschien sein jüdischer Name auf den Titelseiten arabischer Zeitungen. Nach einem Studium der Orientalistik an der hebräischen Universität schrieb er für die Palestine Post, die später zur Jerusalem Post wurde. Fortan berichtete er von der „feindlichen Seite“. Weigert heiratete eine „arabische Frau aus Damaskus“: eine Jüdin. Nach seiner Pensionierung zog er in den Negev, wo er seine langjährigen Freundschaften zu den Beduinen reaktivierte. Möge Weigerts Wunsch in Erfüllung gehen, daß er seinen Landsleuten eine Brücke gebaut habe, die von den „Generationen des Hasses und Blutvergießens zu einem friedlichen Zusammenleben mit den arabischen Nachbarn im gleichen heiligen Land“ führt.

Bassam Tibi: „Pulverfaß Nahost. Eine arabische Perspektive“. Deutsche Verlagsanstalt, Stuttgart 1997, 376 Seiten, 42 DM

Adel S. Elias: „Dieser Frieden heißt Krieg. Israel und Palästina – die feindlichen Brüder“. Droemer Knaur, München 1997, 384 Seiten, 45,90 DM

Norman G. Finkelstein: „The Rise & Fall of Palestine. A Personal Account of the Intifada Years“. University of Minnesota Press, Minneapolis/London 1996, 157 Seiten, 14,95 $

Emil Habibi, Yoram Kaniuk: „Das zweifach verheißene Land“. A. d. Arabischen v. Anna Schwarz, a. d. Französischen v. Michael von Killisch-Horn, List, Mchn. 1997, 188 Seiten, 34 DM

Gideon Weigert, „My Life with the Palestinians“, The Jerusalem Times, Jerusalem 1997, 103 Seiten, 8 Dollar

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