: Es gibt ein Leben nach dem Kanzler
■ Helmut Kohl wartet nach Abschluß des Parteitags mit einem Coup auf: Der frischgekürte Kanzlerkandidat erklärt Wolfgang Schäuble zu seinem Wunschkanzler
Leipzig (taz) – Mit der Überraschung wartete Helmut Kohl bis nach dem Ende des Parteitags. Während die Delegierten ihre Koffer packten, verkündete der frisch als Kanzlerkandidat Bestätigte via Fernsehen, daß Wolfgang Schäuble ihm in dem Amt nachfolgen soll, das Kohl im nächsten September erneut erringen will: „Ich wünsche mir, daß Wolfgang Schäuble einmal Bundeskanzler wird“, sagte er vor den Kameras. Und wann? Die Antwort darauf „vertagen wir auf später“, ergänzte Kohl. Allerdings nährt seine Ankündigung die Spekulation darüber, daß er in der Mitte einer möglichen nächsten Legislaturperiode nach der Vollendung der Währungsunion seine dann 18jährige Regierungszeit beenden wird. Und sie stellt den Schäuble- Rivalen Volker Rühe, der in den letzten Monaten zäh für seine eigenen Ambitionen als möglicher Kohl-Nachfolger gearbeitet hat, vor ernsthafte Probleme. Schäuble war vorgestern für seine programmatische Rede auf dem Parteitag enthusiastisch gefeiert worden.
Die SPD stellt sich die Nachfolgeregelung natürlich sowieso ganz anders vor: 1998 werde ein Sozialdemokrat Kanzler sein, hieß es in einer ersten Reaktion.
Bereits Anfang des Jahres hatte Schäuble seine Bereitschaft bekundet, das Kanzleramt zu übernehmen: Wenn die Versuchung an ihn herangetragen werde, könnte er ihr erliegen. Damals war über eine Differenz zwischen Kohl und Schäuble gemutmaßt worden. Diesen Mutmaßungen war Kohl durch ein demonstratives gemeinsames öffentliches Auftreten mit Schäuble entgegengetreten. Vor dem Leipziger Parteitag hatten Äußerungen Schäubles zur Zukunft der Koalition erneut Anlaß zu entsprechenden Interpretationen gegeben. Der Fraktionsvorsitzende hatte erklärt, daß er eine Große Koalition nicht ausschließe. Kohl hat sich hingegen für eine Fortsetzung des Bündnisses mit der FDP ausgesprochen.
Vor Kohls Coup hatten die rund 1.000 Delegierten mit der Verabschiedung von zwei Leitanträgen die programmatische Richtung des Wahlkampfs festgelegt. Im „Leipziger Manifest“ geht es unter der Überschrift „Das 21. Jahrhundert menschlich gestalten“ vor allem um die Bereiche Arbeit, Bildung und Europa. Im Leitantrag zur Inneren Sicherheit werden Justiz und Polizei aufgefordert, auch gegen „Alltagskriminalität und Verwahrlosung“ hart vorzugehen. Bundesinnenminister Manfred Kanther forderte in seiner Grundsatzrede, die „massive Ausländerkriminalität“ mit „aller Kraft des wehrhaften Rechtsstaates“ zu bekämpfen. Er übte scharfe Kritik an SPD und Bündnisgrünen, aber auch an Teilen der Justiz. Sie sei lange auf die „Resozialisierung der Täter“ fixiert gewesen. Strafe müsse auch abschrecken.
Als Gastredner trat gestern in Leipzig der CSU-Vorsitzende Theo Waigel auf. Er mahnte die Union zur Geschlossenheit und warnte vor einer Großen Koalition. Waigel, der seine Rede mit launigen Anspielungen spickte, konnte die Delegierten für sich gewinnen: Nach schütterem Anfangsapplaus spendeten sie auch ihm am Schluß stehend Beifall. Dieter Rulff
Bericht und Dokumentation Seite 7
Debatte Seite 12
Leipzig (taz) – Mit der Überraschung wartete Helmut Kohl erst nach dem Ende des Parteitags auf. Während die Delegierten ihre Koffer packten, verkündete der frisch als Kanzlerkandidat Bestätigte via Fernsehen, daß Wolfgang Schäuble ihm in dem Amt nachfolgen soll, das Kohl im nächsten September erneut erringen will: „Ich wünsche mir, daß Wolfgang Schäuble einmal Bundeskanzler wird“, sagte er vor den Kameras. Und wann? Die Antwort darauf „vertagen wir auf später“, ergänzte Kohl. Allerdings nährt seine Ankündigung die Spekulation darüber, daß er keine volle Legislaturperiode zur Verfügung stehen wird. Bereits nach Kohls Rede am Montag war von Delegierten die Annahme geäußert worden, daß er nach Vollendung der Europäischen Wirtschafts- und Währungsunion seine dann 18jährige Regierungszeit beenden werde. Schäuble war für seine programmatische Rede auf dem Parteitag gefeiert worden.
Die SPD stellt sich die Nachfolgeregelung natürlich sowieso ganz anders vor: 1998 werde ein Sozialdemokrat Kanzler sein, hieß es in einer ersten Reaktion.
Bereits Anfang des Jahres hatte Schäuble seine Bereitschaft bekundet, das Kanzleramt zu übernehmen: Wenn die Versuchung an ihn herangetragen werde, könnte er ihr erliegen. Damals war über eine Differenz zwischen Kohl und Schäuble gemutmaßt worden. Diesen Mutmaßungen war Kohl durch ein demonstratives gemeinsames öffentliches Auftreten mit Schäuble entgegengetreten. Vor dem Leipziger Parteitag hatten Äußerungen Schäubles zur Zukunft der Koalition erneut Anlaß zu entsprechenden Interpretationen gegeben. In mehreren Interviews hatte der Fraktionsvorsitzende erklärt, daß er eine Große Koalition nicht ausschließe. Kohl hat sich hingegen auf dem Parteitag für eine Fortsetzung des Bündnisses mit der FDP ausgesprochen.
Vor Kohls Coup hatten die rund 1.000 Delegierten mit der Verabschiedung von zwei Leitanträgen die programmatische Richtung des Wahlkampfs festgelegt. Im „Leipziger Manifest“ geht es unter der Überschrift „Das 21. Jahrhundert menschlich gestalten“ vor allem um die Bereiche Arbeit, Bildung und Europa. Im Leitantrag zur Inneren Sicherheit werden Justiz und Polizei aufgefordert, auch gegen „Alltagskriminalität und Verwahrlosung“ hart vorzugehen. Bundesinnenminister Manfred Kanther forderte in seiner Grundsatzrede, die „massive Ausländerkriminalität“ mit „aller Kraft des wehrhaften Rechtsstaates“ zu bekämpfen. Er übte scharfe Kritik an SPD und Bündnisgrünen, aber auch an Teilen der Justiz. Sie sei lange auf die „Resozialisierung der Täter“ fixiert gewesen. Strafe müsse jedoch auch abschrecken.
Als Gastredner trat gestern in Leipzig der CSU-Vorsitzende Theo Waigel auf. Er mahnte die Union zur Geschlossenheit und warnte vor einer Großen Koalition. Waigel, der seine Rede mit launigen Anspielungen spickte, konnte die Delegierten für sich gewinnen: Nach schütterem Anfangsapplaus spendeten sie auch ihm am Schluß stehend Beifall. Dieter Rulff
Bericht und Dokumentation Seite 7
Debatte Seite 12
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen