: Bücher verkaufen wie Kohlen
Einwanderungsgesetze für Bücher? Oder: Was passiert, wenn die EU-Kommission beschließt, die grenzüberschreitende Buchpreisbindung aufzuheben? ■ Von Daniel Haufler
Ach, Europa! Alle paar Jahre ist es wieder soweit: Irgendeine Kommission, sei es in Brüssel oder sonstwo, will die festen Ladenpreise für Bücher aufheben – und behauptet, damit den freien Wettbewerb zu fördern. Schließlich gebe es weder in England eine Buchpreisbindung noch in den USA, Schweden oder Frankreich – und der Buchmarkt dort funktioniere wunderbar. „Was ist schon dran an der Preisbindung?“ fragen die Wettbewerbshüter provokant. Warum verteidigen die deutschen Verleger und Buchhändler dieses Gut so vehement? Würde denn ohne Preisbindung die deutsche Kultur untergehen? Wohl kaum. Nur: Ganz so einfach, wie die Brüsseler tun, ist es eben nicht. Würden sie die Geschichte der Buchpreisbindung kennen, wüßten sie um deren Bedeutung. Schon seit Beginn des 19. Jahrhunderts wollten deutsche Buchhändler wie Georg Joachim Goeschen die Rabatte im Buchhandel abschaffen. Der Grund lag (wie heute auch) auf der Hand: Großbuchhändler verschleuderten Massenware zu konkurrenzlos billigen Preisen.
Damit verdrängten sie anspruchsvolle Bücher aus den Regalen und bedrohten die Existenz der kleineren Buchhandlungen, die in diesem Preiskampf nicht mithalten konnten. Beinahe wäre schon damals der vielfältige und ambitionierte deutsche Buchhandel der industriellen Vermassung zum Opfer gefallen. Dies verhinderte vor nun genau 110 Jahren der Verleger Alfred Kröner, der als Vorsteher des Börsenvereins der Buchhändler den festen Ladenpreis für Bücher in Deutschland, Österreich und der Schweiz durchsetzte. Diese grenzüberschreitende Buchpreisbindung hat seit dem Kaiserreich zahlreiche Angriffe und Weltwirtschaftskrisen überstanden – und wird von der Brüsseler EU-Zentrale womöglich noch in diesem Jahr aufgehoben. Eine Kommission ist mit der „Prüfung“ beauftragt.
Discount-Preise schaden den Kleinen
Die Konsequenzen sind klar: Fällt die länderübergreifende Regelung, fällt auch die nationale Preisbindung in Deutschland. Schließlich bestünde dann die Möglichkeit, Bücher aus Deutschland über Österreich oder die Schweiz wieder zu importieren und – außerhalb der Preisbindung – billiger zu verkaufen. Diese Schleichwege ließen sich nicht verhindern. Oder sollte man die Grenzen dichtmachen und Einwanderungsgesetze, ja Einwanderungsstopp-Gesetze für Bücher beschließen?
Der Verleger Christoph Links dazu lakonisch: „Wenn jetzt die Preisbindung aufgehoben würde, gäbe es unseren Verlag im nächsten Jahr nicht mehr. Und mit uns verschwinden ein paar hundert mittlere und kleinere Buchhandlungen. Langfristig werden wir zudem wie in England nicht billigere, sondern teurere Bücher haben.“
In England, wo 1995 die Buchpreisbindung aufgehoben wurde, führt der Wettbewerb die Buchhändler bereits zu katastrophalen Ergebnissen: Große Ladenketten wie W.H. Smith bieten 50 gutverkäufliche Bücher mit Rabatten von meist 25 Prozent – manchmal sogar 50 oder 80 Prozent – an. Bei 80 Prozent Rabatt muß jedoch das entsprechende Buch neunmal so oft verkauft werden wie beim normalen Ladenpreis, um Gewinn zu erzielen – und das schaffen selbst die größten Buchkaufhäuser sehr selten. Wegen der Rabatte auf Bestseller stiegen wiederum die durchschnittlichen Buchpreise um sechs bis sieben Prozent.
Die Discount-Preise schaden besonders den kleinen Buchhandlungen, denn auch sie erwirtschaften einen Großteil ihres Umsatzes mit populären Titeln anspruchsvoller Autoren.
Ein Rabattwettbewerb wie in England wäre etwa für die Berliner Autorenbuchhandlung ein Desaster. Deren Leiterin Helma von Kieseritzky: „Obwohl wir ein sehr spezialisiertes Sortiment führen und ein breites Lager ausgefallener Literatur haben, leben wir dennoch von den Titeln, die mehr als einmal gehen und mehr als ein Lyrikband für 9,80 Mark kosten. Wenn wir nicht mehr damit rechnen können, Bücher von Monika Maron oder Günter Grass in größeren Mengen zu verkaufen, weil die Leute sie anderswo billiger bekommen – dann wird uns die Basis entzogen.“
Wettbewerb auch ohne Preisbindung
Die Erfahrungen in Frankreich bestätigen Kieseritzkys Sorge. Dort setzte die konservative Regierung erstmals von 1979 bis 1982 die Preisbindung außer Kraft. Schon in dieser kurzen Zeit mußten zahlreiche kleinere und mittlere Buchhandlungen schließen, während neue Buchkaufhäuser entstanden. Die französische Wirtschaftswissenschaftlerin Edith Archambault stellte in einer Studie fest, daß das empfindliche Gleichgewicht im Buchhandel zusammengebrochen sei. Der Markt wurde segmentiert: hier die prinzipiell austauschbaren, aber gewinnbringenden Beststeller – dort die schwerverkäufliche, anspruchsvolle Belletristik. Die darauf spezialisierten Buchhandlungen, so Archambault nüchtern, müßten über kurz oder lang aufgeben. Auf der Strecke bliebe die Kultur.
Ganz ähnlich wie bei den Buchhandlungen sieht es für die kleinen Verlage aus, die oft unbekannte neue Autoren vorstellen oder schwierige Sachbücher publizieren. Sie leben, wie die meisten Verlage, von einer Mischkalkulation und der sogenannten Querfinanzierung. Das heißt: Im Idealfall läuft ein Drittel der Bücher gerade eben kostendeckend, ein Drittel bringt Gewinn, und ein Drittel muß getragen werden. „In dem Moment, wo die Buchpreisbindung wegfiele“, glaubt Christoph Links, „könnten wir die anspruchsvolleren, spezielleren Titel nicht mehr mitfinanzieren, und uns würden zwei Drittel des Programms wegbrechen. Übrig bliebe nur das eine Drittel der gutgängigen Titel.“
Und das alles nur wegen eines Denkfehlers: Die Kritiker des festen Ladenpreises in Brüssel meinen nämlich, daß es im Buchhandel keinen Wettbewerb gebe. Gingen sie auch einmal in deutsche Buchhandlungen, wüßten sie: Der Wettbewerb der einzelnen Buchhandlungen wird nicht über den Preis geführt – die Buchhändler konkurrieren oft durch eine unterschiedliche Auswahl ihres Angebots und ihrer Dienstleistungen: Literaturkenntnis, Beratung, Besorgung und Lieferung der Bücher. Zählte nur der Wettbewerb über den Preis, könnte es schnell zu absurden Zuständen kommen: Zu Beginn des Schuljahrs etwa wären die notwendigen Schulbücher teuer – im Laufe des Jahres würden sie dann immer billiger, weil ja die Nachfrage sinkt. Schlaue Lehrer und Schüler müßten ihre Bücher dann antizyklisch kaufen. Oder allgemein: Zu Weihnachten stiegen wegen der großen Nachfrage die Buchpreise an. Die Bücher, die man im Winter lesen oder verschenken möchte, würde man also (wie die Kohlen) im Sommer einkaufen. Wettbewerb superbe!
Im übrigen konkurrieren Verlage miteinander durchaus über den Preis – zum Beispiel beim Lizenzhandel: Die Rechte für manche amerikanische Autoren werden heutzutage in Telefonkonferenzen zwischen verschiedenen Verlagen und einem Literaturagenten versteigert. Das ist schärfster Wettbewerb über den Preis.
Aber auch bei der Buchproduktion findet Wettbewerb statt: Um Leser zu gewinnen, entscheidet sich ein Verlag für eine bestimmte Ausstattung – gebunden oder als Broschur, mit Fadenheftung oder nur geleimt, mit Abbildungen in Farbe oder Schwarzweiß. Außerdem gibt es das Buch eines Autors meist nicht nur in einer Ausgabe auf dem Markt, sondern oft genug als Hardcover, Taschenbuch und zudem in einer Sonderausgabe. Das alles ist im Rahmen der Buchpreisbindung möglich – und die meisten Leser sind damit durchaus zufrieden. Trotzdem ist die Buchpreisbindung in diesem Jahr, wie schon oft in diesem Jahrhundert, zu einem Schreckgespenst stilisiert worden: Dabei verfügt der deutsche Buchhandel gerade wegen der Buchpreisbindung über ausreichend Wettbewerb und ein in Europa konkurrenzlos vielfältiges Angebot. Dies müßte auch den Wettbewerbshütern in Brüssel auffallen. Um deren Erkenntnis auf die Sprünge zu helfen, hat der Börsenverein des Deutschen Buchhandels auf der Frankfurter Buchmesse ein Broschüre zum Thema vorgelegt, die Sinn und Nutzen der Preisbindung aus europarechtlicher, ökonomischer und kulturhistorischer Sicht beleuchtet. Die Brüsseler lassen sich jedoch von solchen „vereinsinternen Gutachten“ in der Regel wenig beeinflussen.
Wenn die grenzüberschreitende Buchpreisbindung demnächst also fiele und in deren Gefolge auch die deutsche, dann wäre das Ende absehbar: Zahlreiche Verlage und Buchhandlungen müßten schließen, die meisten Bücher würden teurer – und was noch schwerer wiegt: auch manches enagierte Werk dürfte nicht mehr verlegt werden. Die Leidtragenden wären zu schlechter Letzt die deutschsprachigen Leser, denen es dann wie Engländern, Schweden und Franzosen erginge. Ach, Europa!
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