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Geschmacksdiktaturen

■ Joachim Seyppel schimpft über den Verband deutscher Schriftsteller und tritt aus

Das saß. „Diesem Verband ermangelt es an literarischer Kompetenz“, köterte Joachim Seyppel vorige Woche im Hamburger Abendblatt und trat aus dem Verband deutscher Schriftsteller (VS) aus. Der in Hamburg lebende Schriftsteller (Abschied von Europa, Ahnengalerie) ließ seinem Unmut über die Schriftsteller-Vertretung freien und ungnädigen Lauf. Der VS sei unterwandert von Amateuren und, seitdem der Verband 1972 der Gewerkschaft beitrat, zunehmend von betonköpfigen Gewerkschaftsfuzzis, die eine „Diktatur des schlechten Geschmacks“errichtet hätten.

Reimer Eilers, VS-Vorsitzender des Hamburger Landesverbandes, kann Seyppels öffentliches Aufbrausen nicht nachvollziehen. Nach sechs Jahren ehrenamtlicher Arbeit „fühlt man sich durch so etwas regelrecht verarscht“. Blender und uninspirierte Federschwinger gebe es in jeder Schriftstellervereinigung. „Es gibt keine Kriterien, mit denen sich Qualität verläßlich bestimmen läßt. Deswegen sind unsere Aufnahmebedingungen rein formal. Wer ein Buch veröffentlicht hat, wird aufgenommen.“Geschmackspatrouillen aufzustellen hält Eilers für ein wenig hilfreiches Unterfangen. „Wir helfen den Schriftstellern, in dem wir z. B. mit Verlagen über Normverträge verhandeln, ihnen durch das komplizierte Gefüge der Verlagspolitik zur Seite stehen.“

Ausbrüche, wie der im Abendblatt, sind für denn 77jährigen Seyppel keineswegs ungewöhnlich, eher programmatisch. Und manchmal auch couragiert. So wurde er während des Zweiten Weltkrieges wegen „Wehrkraftzersetzung“zu neun Monaten Haft verurteilt. Nach Kriegsende siedelte er über in die USA, kehrte 1961 zurück und zog später in die DDR und damit, wie er hoffte, in eine menschlichere Gesellschaft. Doch seine Kritik an realexistierenden Mißständen sollte bald ein Publikationsverbot knebeln. 1979 durfte er überraschend ausreisen. Mit Ruhestand ist bei Seyppel wohl auch jetzt nicht zu rechnen. Ein neuer Verband müsse her, ruft er dem Nachwuchs zu, „für wahrhaft echte Schriftsteller“. big

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