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Kämpfen für die Gäste

Nächtliche Trinkerkreise auf Isomatten und eine Stadt fast ohne Frauen, aber mit flinken polizeilichen Aufruhrbekämpfungspatrouillen: Im südkoreanischen Pusan soll mit Hilfe der führenden Industriekonglomerate Asiens größtes Filmfestival entstehen  ■ Von Helmut Höge

„Arbeit“ heißt zwar auch auf koreanisch „Arbeit“ – aber wie: Feierabend ist dort nämlich erst zwischen 21 Uhr und Mitternacht, und anschließend geht man noch in kleinen Gruppen etwas essen und trinken. „Koreans like to be busy at night“, meint dazu die Feministin und Filmdozentin Ing Yong- Nam, deren letztes Seminar um 22.45 Uhr endet. Allein in Seoul gibt es 30 Universitäten – und dementsprechend wimmelt es dort von Studenten.

Nicht viel anders sieht es in der Hafenstadt Pusan aus, etwa so groß wie Hamburg, Bremen und Rostock zusammen, mit mehr Werften und Hafenverkehr allerdings. Auch das Pusan International Film Festival (PIFF) wirkt bedeutend vitaler als etwa die Hollywood nachlaufende Berlinale.

Von „Asia's most energetic Film Festival“ sprechen die Veranstalter. Auf der PIFF-Avenue in der Nähe des Fischmarkts, wo sich die meisten Kinos und eine Bühne zur Livevorstellung der Jungstars befinden, wimmelt es von weiblichen Teenagern in Schuluniformen. Wenn es zu schrill wird, rückt jedesmal eine kleine polizeiliche Aufruhrbekämpfungspatrouille an. Überall sind Tapeziertische zum Verkauf von PIFF-Badges, -Jacken, -T-Shirts und -Taschen aufgebaut. Mit ähnlichen Paraphernalien demonstriert dort auch eine Gruppe von Filmstudenten gegen die Zensur, an der in diesem Jahr ihr schwul-lesbisches Filmfestival scheiterte („See you at the Human Rights Festival“).

Für die Betreuung der etwa 800 eingeladenen PIFF-Gäste und 50 Journalisten (dazu kamen noch 750 auf eigene Kosten angereiste) sorgten 450 studentische Volunteers, die aus 3.000 Bewerbern ausgewählt wurden. Ihr wunderbarer Service begann bereits am Flughafen in Seoul, und am PIFF-Counter im Hotel Pusan hieß es jeden Morgen: „If you have a problem, let me know, I fight for you!“ Das war sogar ernst gemeint.

Die Sponsoren (Daewoo, Samsung, die Telecom und die Stadt, um nur die größten zu nennen) ließen sich diesen Spaß heuer 2,4 Millionen Dollar kosten. 165 Filme aus 33 Ländern wurden gezeigt – neun Tage lang jeweils zwischen 11 und 20 Uhr.

Kartoffelschnaps ist beidhändig zu trinken

Anschließend fuhren Busse zu diversen Empfängen ab. Dort waren stets auch der Pusaner Bürgermeister mit seinen Fachreferenten – vorneweg der für Kultur und der fürs Fischereiwesen zuständige – anwesend. Neben einem Hang zum Gesellig-Zeremoniellen kennen die Koreaner aber auch noch die schöne Erfindung des „Soju- Tent“ – das sind mit einem Zelt überdachte Kochstätten, die von unzähligen Frauen abends vor die Geschäfte gerollt werden. Man setzt sich im Kreis um diese Imbißfeuer und trinkt Kartoffelschnaps (Soju), der beidhändig aus kleinen Flaschen mit kompliziertem Höflichkeitsritual eingeschenkt wird. Scharen sich zu viele Leute um ein und dasselbe Soju-Tent – mit Namen wie „Zum fröhlichen Konkurs“ etwa –, dann haben meist einige weitsichtige Einheimische eine Isomatte dabei, auf der schnell ein neuer Trinkerkreis gebildet wird.

Als einer der ausdauerndsten Trinkerkreisbildner erwiesen sich der Festivalleiter Mister Kim sowie sein Stellvertreter Mister Lee. Ersterer war früher Leiter der Obersten Zensurbehörde, letzterer Kims Nachfolger bei der Motion Picture Promotion Corporation. Und ihr Standing war enorm: Wenn die Soju-Tents um zwei Uhr langsam das Feuer ausgehen ließen, luden sie meist noch zu einer Abschlußrunde in eine Nachtbar nahebei ein.

Bevor ich auf das eigentliche Entertainment – die Filme – zu sprechen komme, muß ich noch ein anderes Pusaner Amusement- Highlight erwähnen: die russische Einkaufsstraße am Hauptbahnhof. Dort haben die koreanischen Restaurantbesitzerinnen Frauen aus Sachalin, Kamtschatka und Wladiwostok zum Kochen eingestellt sowie als Türsteher, damit sie russische Businesstouristen reinziehen. Aber auch uns – sowie dann auch Teile der 5.000 Soldaten starken Mannschaft des US-Flugzeugträgers „Independence“ („they call us ,Indi‘“), der für drei Tage in Pusan vor Anker gegangen war. Die Unterhaltung lief vorwiegend in einem russisch-koreanischen Mix ab, wobei immer mehr englische Einsprengsel dazukamen. Allseits Heiterkeit riefen die Abschiedsworte des Gouverneurs von Wladiwostok hervor, mit denen er gerade 230 russische Schüler, die zum Austausch mit dem Schiff nach Pusan abgefahren waren, verabschiedet hatte: „Seht euch dort gut um, damit ihr eine Ahnung bekommt, was man durch harte Arbeit alles erreichen kann!“

Ich fragte den indischen Filmemacher Malay Bhattanchanya, dessen Film „Kahini“ bereits auf der letzten Berlinale gelaufen war, was er für Unterschiede zwischen Korea und Deutschland sehe: „Gar keine!“ antwortete er.

Etwas fehlt in Korea jedoch – im Weichbild der Städte: die Frauen zwischen 28 und 50, die wir zu Hause, mit Kind und in der Küche vermuten mußten. Die Auflösung der Familie mit fortschreitendem Konsumismus war dort anscheinend noch nicht derart weit gediehen, daß die „Scenes“ sich geschlechterübergreifend ausdifferenzierten. Trotz hysterischer Starbejubelung und Cafés speziell für weibliche Teenager, die wie Mädchenzimmer eingerichtet waren – mit Plüschsofas und kostenlosen Telefonen an jedem Tisch –, haftete vielen „Protestformen“ eine Disziplin an, die man mit einem Borgesschen Oxymoron als „grazile Gehemmtheit“ bezeichnen könnte.

Deswegen war auch der neue Film von Jung Yoon-Hyun „The Contact“ sehr aufschlußreich: eine Dreiecksgeschichte zwischen einem Radiomoderator, einer Jungjournalistin und einer Telefonmarketingfrau, in der die Beziehung „auf Distanz“ – per E-Mail, Pager, Fax oder Telefon – um vieles „tiefer geht“ als der direkte Kontakt. Dieser Film wird wahrscheinlich ebenso auf der kommenden Berlinale zu sehen sein wie der seine Kameras mit einbeziehende und Inszenierung und Dokumentation vermischende Film von Jang Sun- Woo: „Timeless, Bottomless Bad Movie“ – über Punks und Obdachlose in Seoul. Die koreanisch-amerikanische Produzentin (neben Daewoo), Jeannie Kim, meinte: „The Looking for new role-models just started – about 10 years ago!“ (So alt sind in etwa auch die ältesten Autos, die man auf den Straßen sieht – die neuen haben übrigens alle Schlitzaugen!)

Alles von meinem schönen Geld!

Korea habe derzeit die höchste Bulimierate der Welt, außerdem prozentual die meisten Vergewaltigungen, behauptete Jeannie Kim. Auch ihr „Bad Movie“ kommt nicht ohne eine solche Szene aus. Zudem sollen die Verleiher inoffiziell damit „geworben“ haben, daß sie nicht gefakt sei. Um junges Filmen in verworfenen „Scenes“ geht es auch in dem New-Wave-Farbfilm „Motel Cactus“ (von Park Ki- Yong) und um Obdachlosigkeit (inklusive der geradezu obligatorischen Vergewaltigung) in dem Film „Crocodile“ (von Kim Ki- Duk).

Mit einer Retrospektive und einem mehrsprachigen Reader gefeiert wurde heuer der Filmpionier Kim Ki-young, dessen avantgardistisch-„diabolische Filme“ sich oft um einen Ehemann zwischen zwei Frauen drehen, wobei die Ehefrau mittels ausgeklügelter Langzeitstrategien das Heft des Handelns in die Hand bekommt. Der heute 78jährige Kim Ki-young ist mit einer Zahnärztin verheiratet, die ihm die meisten Filme finanzierte: „Anfangs kam sie jedesmal weinend aus dem Kino, wenn sie meine Filme sah: ,Und das alles von meinem schönen Geld!‘“ – so Kim Ki-young.

Es gibt bisher nur drei weibliche Regisseure in Korea, sie zählen sich zur demokratischen Opposition und kommen aus der „Filmclub“-Bewegung, aus der auch eine Reihe von der Arbeiterbewegung nahestehenden Videodokumentaristen hervorgingen. Zwei Streikfilme von ihnen wurden bereits auf der letztjährigen Berlinale gezeigt (zum Verdruß des südkoreanischen Geheimdienstes). Dort sollte eigentlich auch schon der erste Film von Byun Young-Joo „Murmuring“ laufen – eine Dokumentation über die als Zwangsprostituierte im Zweiten Weltkrieg nach Japan verschleppten „Comfort- Women“. Die Regisseurin lebte monatelang mit den zunächst vom Vorhaben wenig begeisterten alten Frauen in ihrer Wohngemeinschaft. Anschließend zog sie mit dem Film und einem mobilen 16-mm-Projektor über die Dörfer und durch Universitäten.

In Pusan sahen wir nun den zweiten Teil: „Habitual Sadness“. Er kam auf Drängen der Protagonistinnen zustande und wurde – wie der erste – durch den Verkauf von Badges sowie über Spendenaktionen finanziert. Einige Frauen der Gruppe Labour News Production übernahmen die Produktion. Beide Filme werden in Berlin 1998 zu sehen sein, zusammen mit einem Workshop der Regisseurin, an dem bereits IG-Metall- und DGB-Mitarbeiter Interesse bekundeten. Der Berliner IGM-Chef Foede besuchte nebenbei bemerkt gerade einige Samsung-Werke in Korea, und Zwickel nahm an einer Konferenz über den Widerstand gegen die Globalisierung in Seoul teil. Ich – als Hobbygewerkschafter – traf mich mit einigen Hanjin- Mitarbeitern in Pusan: ihr Konzern übernahm gerade anstelle der untergegangenen Vulkan-Werft die „Deutsche Seereederei-Senator- Linie“ in Bremen, Hamburg und Rostock.

Auf der nächsten Berlinale soll Süd-Korea erneut ein Schwerpunkt-Thema der Forum-Sektion bilden. Eine der deutschen Jurorinnen begründete das damit, daß „die rasanten Veränderungen dort eine solche Menge an Filmstoffen bieten, daß selbst Action- und Unterhaltungsfilme nicht auf ferne Planeten oder ins Reich der Tierwelt ausweichen müssen“. Und damit ist ein weiterer Unterschied zu Deutschland benannt.

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