■ Der Hunger wird globalisiert, das Saatgut wird privatisiert und gentechnisch behandelt. Kleinbäuerinnen im Süden und Konsumentinnen im Norden ziehen den kürzeren. Aber es gibt Widerstandsideen Von Christa Wichterich: Der weltweite Kampf um gute Nahrung
Weltweit sind Frauen die Managerinnen der Ernährung – ob sie das selber gut finden oder nicht. Sie kaufen ein, sie kochen, sie bauen an, und vor allem in den Ländern des Südens stellen sie auch die Selbstversorgung ihrer Familien mit Nahrungsmitteln sicher. Das einstige Gemeinschaftseigentum Saatgut ist heute von der Agrochemie privatisiert worden. Und in den Regalen liegen Produkte, die Gensoja oder Genmais enthalten – ohne Kennzeichnung. „Zwangsernährung“ nennt die Biologin Christine von Weizsäcker die Verweigerung der Kennzeichnung. Wie im Süden hat auch bei uns die Abhängigkeit vom globalen Markt zur Entmündigung der Menschen und zur Zerstörung der natürlichen Artenvielfalt geführt. Den weltweiten Zusammenhängen versuchte eine Tagung des Frauen-Forums von regierungsunabhängigen Organisationen zum Thema „Globalisierung des Hungers oder Ernährungssicherung weltweit“ letzte Woche in Bonn auf die Spur zu kommen.
Uns will man glauben machen“, schimpft Vandana Shiva, die wortgewaltige Umweltaktivistin aus Indien, „nicht Getreide in unseren Lagern würde uns Ernährungssicherheit bringen, sondern Dollars in unseren Taschen.“ Als Strategie zur Ernährungssicherung wird in Indien der Anbau von Schnittblumen empfohlen. Mit dem Verdienst aus den Rosenfeldern kann man 1.200 Tonnen Nahrungsmittel kaufen. Auf dem selben Land könnte man auch 4.000 Tonnen Getreide anbauen, hat Shiva berechnet.
An wen richtet man im Zeitalter der Globalisierung die Bitte um das täglich Brot: an Cargill, den größten Getreidekonzern der Welt, an Monsanto, den Herrn der genmanipulierten Sojabohne und 14 anderer Patente, an McDonald's oder an die Börse, auf daß die Aktien keine Purzelbäume schlagen mögen? Denn sie sind zielstrebig dabei, sich zu Herren über das Grundrecht auf Nahrung aufzuschwingen.
Gerade mal ein Jahr ist es her, daß dem Hunger auf dem Welternährungsgipfel in Rom wieder einmal der Kampf angesagt wurde. Der freie Handel, so die zentrale Botschaft von Rom, soll die Menschheit vom Hunger befreien. Mithelfen soll auch die Gentechnologie, daß die wachsende Weltbevölkerung satt wird.
14.000 Reissorten gab es früher in Bangladesch. Die biologische Vielfalt ist eine Risikostrategie, die Natur und Menschen im Laufe von Jahrtausenden gegen die Unwägbarkeiten des Wetters ausgetüftelt haben. Doch die Liberalisierung der Wirtschaft und die Entwicklungshilfe öffneten das Land für die Hybridsorten aus den Agrarlabors, machten die Felder für Monokulturen platt und dezimierten den Artenreichtum. Früher sammelten die Bäuerinnen 36 Sorten von wildwachsenden Blattgemüsen entlang der Reisfelder. Bis zu vierzig Prozent der Nahrung der armen Bevölkerung auf dem Land wuchs wild, von Kürbissen und Früchten bis zu den Fischen und Fröschen in den Reisfeldern. Doch die Agrochemikalien vergiften die Blattgemüse, so daß die Menschen sie nicht mehr zu essen und nicht einmal mehr an ihre Kühe zu verfüttern wagen.
Ein Schlüssel zur Ernährungssicherung ist das Saatgut. Ob sie es in einem Topf unter das Bett stellen oder in einem Behälter von der Decke der Hütte hängen lassen – überall halten die Frauen diesen Schlüssel in ihrer Händen. Nach der Ernte schaffen sie zuerst das zur Seite, was sie für die nächste Aussaat brauchen. Mit den Nachbarinnen tauschen sie Saatgut und nehmen zu Besuchen Samen von den besten Sorten als Geschenk mit. Das Wissen über die verschiedenen Sorten ist eine Machtressource der Frauen, die sie durch die Kommerzialisierung des Saatguts zunehmend verlieren. „Schwestern, behaltet das Saatgut in euren Händen“, wurde deshalb zu einem Slogan von Kleinbäuerinnen in Bangladesch.
Die grüne Revolution mit dem Techno- Paket von Hybridsaatgut, Agrochemikalien und künstlicher Bewässerung war vor dreißig Jahren in den Ländern des Südens der Motor für die Industrialisierung der Landwirtschaft. Damals setzte auch der große kommerzielle Run aufs Saatgut ein. Der Artenreichtum des Südens wurde eingesammelt für die Genbanken der Agrarforschung und Saatgutindustrie – eine Kolonisierung der Ressourcen, die Vandana Shiva „Biopiraterie“ nennt.
Inzwischen seien die Genbanken, die mit dem Versprechen „treuhänderischer Verwaltung“ antraten, zu „Technologiefestungen unter nördlicher Regie“ geworden, sagt die Biologin Christine von Weizsäcker. Nach dreißig Jahren verlieren viele Samen ihre Keimfähigkeit, wenn sie nicht getrennt ausgepflanzt werden. Dazu fehlen jedoch häufig die Mittel. Es finde eine „nicht rückholbare genetische Erosion“ statt und die „Reduktion auf eine Kernkollektion, die industriell verwertbar ist“, so die Biologin.
Mit diesem Material betreibt die Gentechnologie genetischen Umbau, vorgeblich, um den Hunger im Süden zu bekämpfen. Tatsächlich zeigen allein die Forschungsschwerpunkte, daß es der Industrie mitnichten um Hungerbekämpfung geht: Achtzig Prozent der Forschung im Bereich Landwirtschaft kreist um Pestizidresistenzen von Pflanzen, damit die Chemiekonzerne ihre Unkrautvernichtungs- und Schädlingsbekämpfungsmittel vermehrt absetzen können. Im Gesundheitsbereich konzentriert sich die Forschung auf Schlankheitsmittel.
Was die GeningenieurInnen „pürieren“ (Weizsäcker), läßt die Agro- und Nahrungsmittelindustrie als neu geschaffenes Produkt patentieren. Damit wirkt die Gentechnologie als Instrument zur Privatisierung von Ressourcen. Über den Weg durch die Genbanken, die Forschungslabors und die Patentämter wird aus dem Gemeinschaftseigentum Saatgut eine firmeneigene Ware, die die Frauen nun kaufen müssen. Dies ist ein globaler Enteignungsmechanismus unter dem Banner von Freihandel und Hungerbekämpfung.
„Auf dem globalen Markt ist es strukturell nicht möglich, Nahrungssicherheit herzustellen“, meint die Kölner Ökofeministin Maria Mies. Die beste Methode der Ernährungssicherung sei der Erhalt der Artenvielfalt in den Händen der Bauern und vor allem der Bäuerinnen. Das bestätigt Farida Akhter, die in Bangladesch Nayakrishi Andolon, eine kleinbäuerliche Bewegung gegen die chemisierte Landwirtschaft, mit ins Leben gerufen hat. Überaus skeptisch sieht sie die hochgepriesenen Kleinkredite der Grameen- Bank. Sie hätten dazu geführt, daß die Frauen versuchen, durch Handel Geld zu verdienen, und die Subsistenzproduktion zur Ernährungssicherung vernachlässigen. Als Erfolgskriterium gilt nur die Rückzahlungsquote, nicht etwa die Sicherung der Ernährung.
In Nayakrishi-Dörfern gelingt es dagegen, Biodiversität auf die Felder zurückzuholen: Nach wenigen Jahren sprießen schon wieder 69 Reissorten und 38 Sorten der nahrhaften Jackfruit. Die Saat ist in weiblicher Hand: Die Frauen bauten eine eigene Saatbank und Tauschbörse auf.
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