: Für Volk und Vaterland!
■ SPD und CDU kennen in der Rentenfrage keine Parteien mehr
Jetzt heult die FDP wieder rum. Immer dann, wenn sich in der Stunde der Angst CDU und SPD an die Hand nehmen, um gemeinsam durch den dunklen Wald zu finden, stehen die Liberalen dumm daneben. Hallo, rufen sie, wir sind doch auch noch da! Ihr könnt doch nicht einfach die Mehrwertsteuer erhöhen, nur um die Rentenkasse zu entlasten! Das kommt davon, wenn man eine Steuersenkungspartei am Rande der Fünfprozentmarke ist.
Jetzt geht's nicht mehr einfach nur um den Standort Deutschland, jetzt geht's ums Ganze. Um Volk und Vaterland! Gerhard Schröder begründet seine Hilfe für die CDU mit dem Verantwortungsgefühl des besorgten Staatsmannes: Die SPD müsse Kohl zum Nutzen Deutschlands aus der Patsche helfen. „Erst kommt das Land“, sagt Schröder, „dann die Partei.“ Norbert Blüm stehen vor lauter Dankbarkeit über so viel patriotische Schützenhilfe schon die Tränen in den Augen. Seine vorerst letzten Worte zum Thema Rente lauten: „Alle müssen über ihren Schatten springen.“ Vermutlich, damit unsere Rente weiter so sicher bleibt.
Wo so viel Stillstand herrscht wie in Bonn, da wird die Bewegung alles. Für die Rente die Mehrwertsteuer hoch? Oder die Mehrwertsteuer zusammen mit der Mineralölsteuer? Die Zahl der 610-Mark-Jobs gleich mit abbauen? Laßt uns erst mal einigen, so Schröder, über den Rest reden wir später. Die Rentenbeiträge nicht auf 21 Prozent steigen zu lassen, wird zur Schicksalsfrage des Sozialstaats erklärt.
Die Koalition hat sich mit der Beitragserhöhung für die Rente selbst eine Falle gestellt. Da kommt ihr die rettende Hand der SPD gerade recht. Die Sozialdemokraten wiederum können nicht schadenfroh zusehen, wie die Regierung mit ihrer Rentenpolitik vor die Wand fährt. Denn Rudolf Dreßler lebt in derselben Welt wie Norbert Blüm. Selbst Lafontaine, vorsichtiger als Schröder, ist zu einem Rentenkompromiß bereit. Die Koalition sitzt so tief im Schlamassel, daß der SPD-Vorsitzende glaubt, seine Partei als Retter in der sozialen Not präsentieren zu können.
Aber man kann nicht retten, was nicht zu retten ist. Ein Rentensystem, das an den Realitäten der heutigen Arbeitswelt vorbeigeht, wird nicht dadurch besser, daß sein Umbau jetzt von einer großen Koalition verhindert wird. Erst kommt das Land, dann die Partei? Erst kommt das Problem, dann die Lösung. Jens König
Bericht Seite 5
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