: Immer um den Kreis rum
■ Enttäuschende Uraufführung von Tom Johnsons „Trigonometry“
Wenn etwas nicht eindeutig war, hilft oft die Frage: Wie war das Ende? Vom Ende her gesehen, war die Botschaft von Tom Johnsons Trigonometry am Mittwoch abend auf Kampnagel dürftig. Denn der Schlußsatz eines der vier Baritone – man habe wohl dem Computer zu viel Vertrauen geschenkt, zu wenig der Musik gelauscht – brachte den Grundgedanken der ganzen Produktion allzu oberlehrerhaft-umfassend auf den Punkt.
Das Programmheft spielt mit dem Begriff „Oper“für dieses „Musiktheater für vier Baritone und vier Percussionisten“, obgleich es sich gattungstheoretisch eher um ein Singspiel mit Melodram-Partien handelte, in dem ausgiebig gesprochen wird zwischen den Gesangsteilen. Und gelegentlich wird auch auf die Musik gesprochen.
Das „Orchester“sind vier Percussionisten. Als Teil der Bühnenchoreographie ins Konzept integriert, sind sie einer der Pluspunkte dieser Uraufführung. Mit wenigen Mitteln (Trommeln, hölzernen und metallischen Schlagzeugen, Xylophon und Glockenspiel) wußten sie den Bühnen- und Klangraum gut zu markieren und zudem noch als quasi weltanschauliches Raster in den Plot einzugreifen. Die zusätzlichen Lautsprechermusiken waren eindeutig überflüssig. Dabei beeindruckte, sowohl an Kay Fretwursts Bühnenbild und Kostümen als auch an Bettina Wackernagels Inszenierung und Johnsons minimalistischer Musik, gerade die Ökonomie der Mittel. Auch wenn die Grenzen vom Einfachen zum Simplen gelegentlich arg verschwammen.
Vielleicht lag's am lehrstückhaft simplen Plot des Stücks: Vier „Wissenschaftler“– dem sprachlichen Niveau nach eher Oberschüler – suchen sich mittels Versuch und Irrtum sowie mit Hilfe aller möglichen technischen Medien in der Welt von Kreis, Hypothenuse und Tangente zurecht- und wiederzufinden. Sie scheitern unentwegt. Auch den gesuchten Punkt Omega können sie nicht greifen. Schließlich wird die Sinuskurve Gegenstand der Seinssuche. Sie erkennen, daß Logik allein nicht zum Ziel führt. In der Musik finden sie – ausruhend von der Rastlosigkeit irdischen Strebens und gleichsam träumend am Rand der Szene – die Lösung: die Welt der Gefühle.
Geist und Seele, Ratio und Poesie, Computer und Sehnsucht. Wie oft wurden sie in der Geschichte des Abendlandes aufeinandergehetzt. Das war schon immer dumm. Besonders dumm aber ist es natürlich, wenn es auch noch auf so vordergründige Weise geschieht.
Stefan Siegert
heute und morgen, 19.30 Uhr, Kampnagel, k1
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