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„Eigentlich ist Denken sexy“

Wie sieht das Leben der StudentInnen 1997 aus? Es gibt Menschen, die streiken, um sich ein Türchen in die Realität offenzuhalten. Andere haben sich längst aus dem anonymen Betrieb ausgeklinkt. Und das Raumschiff Universität torkelt verloren im All herum  ■ Von Detlef Kuhlbrodt

„Ja, schlafen!“, sagte der Student. „Schlafen werde ich, wenn ich mit meinem Studium fertig bin. Vorläufig trinke ich schwarzen Kaffee. Eine feine Sache der schwarze Kaffee.“ – „Und wann werden Sie mit Ihrem Studium fertig werden?“, fragte Karl. „Es geht langsam“, sagte der Student mit gesenktem Kopf. „Es kann noch ein, zwei Jahre dauern. (...) Ich selber studiere schon seit Jahren eigentlich nur aus Konsequenz. Befriedigung habe ich wenig davon und Zukunftsaussichten noch weniger. Daß ich meinen Posten bei Monthy bekommen habe, ist der bisher größte Erfolg meines Lebens gewesen. Wenn ich zwischen dem Studium und meinem Posten wählen würde, würde ich natürlich den Posten wählen. Meine Anstrengung geht nur darauf hin, die Notwendigkeit einer solchen Wahl nicht eintreten zu lassen.“ (Franz Kafka: „Amerika“)

Uni in Aufruhr. Seltsam, wieder zur Freien Universität Berlin zu fahren, am U-Bahnhof Thielplatz auszusteigen, die klassischen Vorseminars-Zigaretten zu rauchen, tief Luft zu holen, denn die Luft hier in Dahlem ist um einiges besser als in Kreuzberg. Wehmütige Déjà-vus kommen vorbei, wenn man nach Jahren die Uni wieder besucht, die man irgendwann ohne Abschluß verlassen hatte, um in der taz lieber Sachen zu schreiben.

Auf dem Weg ins Institut für Allgemeine und Vergleichende Literaturwissenschaft (AVL) erzählt die Studentenvertreterin Karoline lachend von der Mittwochsdemo. Mit ein paar Freunden sei sie „für eine erotischere Universität“ eingetreten. Das sei nicht einfach gewesen, das richtig zu skandieren. Zumal die benjaminsche Rede vom „Eros der Studenten“ ja auch ein bißchen daneben klingt. Deshalb hätte ein humoristischer Kommilitone dann „Fickend ans Ziel“ gerufen.

Die AVL sei eigentlich ein sexistischer Betrieb. „Als eine Dozentin sagte: ,Was man im Streik an sozialen Erfahrungen macht, kann kein Seminar erreichen‘, haben die männlichen Professoren wieder alle gelacht.“ An den Wänden des Instituts torkelt das Raumschiff Universität verloren im All herum. Das hat jemand beim letzten großen Unistreik 88/89 dort hingemalt und hinzugeschrieben: „Sterben, aber wie?“ Den meisten Geisteswissenschaften möchte man jetzt auch noch die Notbeatmung versagen.

In der Mensa stochert die Soziologiestudentin Michaela in ihrem Bio-Essen. 1992 hatte sie ein Einser-Abi hingelegt und arbeitet halbtags in einem Anwaltsbüro: „Die Uni ist in sich selbst erstarrt“, meint sie. „Mich stört das wahnsinnig, daß überhaupt kein Austausch stattfindet mit nichtakademischen Disziplinen. Die nehmen das überhaupt nicht ernst, was von Leuten kommt, die nicht an der Uni sind. Die Uni ist einfach ein inzestuöser Verein. Deshalb streike ich die ganze Zeit eigentlich schon privat. Die Qualifikation für irgendeinen Beruf hole ich mir ja sowieso beim Arbeiten. Ich sehe nicht ein, meine Lebenszeit in so einem frustrierenden System zu verlieren. Dieser Spruch, ,Bildung ist Zukunft‘, ist einfach absurd. Die sogenannte Zukunft für Sozialwissenschaftler ist doch: Lerne Statistik, damit du später Marktforschung machen kannst. Dann kannst du Telefonumfragen machen, wo du rausfindest, welche Inkontinenzbinden sich besser verkaufen können. Absurd. Früher dachte ich, daß die Uni fast so ein religiöser Ort ist, wo man aus reiner Freude lernt und öffentlich nachdenkt. Und jetzt streiken die Leute, weil sie sich an der Uni so ein modulares Ausbildungswissen aneignen wollen. Aber das fehlt mir ja gar nicht! Mir fehlt, daß Bildung was mit Spaß und Lust zu tun hat, denn eigentlich ist Denken ja völlig sexy. Nur eben in der Uni nicht. Mehr Geld würde da auch nichts grundsätzlich dran ändern.“

Jenseits der Streikcafés begegnet man eher frustrierten Studenten. Suat, ein Jurist aus Kreuzberg, findet einerseits, „daß es wirklich nichts bringt“, andererseits träumt er von 68. Zeit hätte er eh nicht, sich am Streik zu beteiligen, zumal er ja schon im 11. Semester ist. Als Arbeiterkind muß er nebenbei auch noch Geld verdienen. Am meisten „kotzt“ ihn an, daß alle sowieso nur studieren, um später viel Geld zu verdienen, „vor allem die Juristen“: „Ich will meinen Kindern auch nicht irgendwann sagen, es geht nur darum, daß du immer siehst, wie du vorankommst, daß du Egoist bist und nur noch danach trachten sollst, möglichst schnell an Geld zu kommen. Je jünger, je schneller, desto besser und einseitiger – das ist das Motto, das an den Unis heutzutage herrscht. Vor allem bei uns Juristen.“ Suat redet wie ein Wasserfall. So, als tausche er sich nie mit Kommilitonen übers Studium aus.

Seine Freundin, die Chemiestudentin Gülhan, hat vom Streik bis jetzt noch nicht viel mitbekommen. „Die machen bei uns einfach nicht mit. Ich seh' das ehrlich gesagt auch nicht ein. Wenn da sechzig Leute drin sind und zehn wollen streiken, und die machen dann Streik, bin ich am Ende angearscht. Ich muß meine Analysen ja auch fertigbringen. Ich hänge ja auch ein bißchen hinterher, weil ich arbeiten muß. Die anderen werden alle von ihren Eltern unterstützt. Und ich bin ein Arbeiterkind und hab' keine Eltern, die mir das alles finanzieren. Als ich an die Uni kam, dachte ich, hier wird alles lockerer sein, kein Konkurrenzkampf, alle zusammen, aber es ist genau das Gegenteil. Wenn man Geld hat, dann ist man hier wer, aber sonst lassen die einen hängen. Als Ausländer hat man ja hier noch mehr Schwierigkeiten. Ich bin hier zwar geboren und groß geworden. Aber das reicht ja schon, daß man schwarze Haare hat und dunkle Augen. Mir ist das auch schon mal passiert, daß ich zu meinem Assistenten gegangen bin, und ich berliner ja. Und da hat der mich nachgemacht, so nach dem Motto: ,Du dumme Ausländerin, was berlinerst du denn hier.‘ Da vergeht einem jede Lust.“

Anja ist Zahnmedizinerin und zur Zeit „nicht besonders aktiv“. Sie hat alle Hände voll zu tun und finanziert sich wie die meisten durch Gelegenheitsjobs. „Ich war gestern bei den Zahnmedizinern, und da war keine Rede von Streik. Da gibt es keine Plakate. Bei Zahnmedizinern ist es ja immer ein bißchen anders. Die haben soviel zu tun mit ihrem Studium. Und wenn du deine Veranstaltungen nicht besuchst, bist du angearscht und mußt das wiederholen. Deshalb passiert da nicht allzuviel. Ich bin auch ziemlich enttäuscht von der Uni. In meinem Fachbereich fühlen sich die Lehrenden ja so mächtig und beweisen dir ja wirklich bei jeder Gelegenheit, wie dumm du bist und wie klein du bist. Es ist nicht schön. Solidarität zwischen den Studierenden gibt es auch nicht. Das sind halt ziemlich komische Leute, die das studieren. Die sind einfach nicht zur Solidarität erzogen, Mutter, Vater oder beide sind Zahnärzte und größtenteils aus dem Westen. Es ist wirklich so, daß die Leute sich gegenseitig die Arbeiten kaputtmachen, um sich Vorteile zu verschaffen. Wen man nicht mag, dessen Prothese oder Krone macht man schon mal eben kaputt. Oder läßt sie so vom Tisch fallen. Solche Sachen gibt es bei uns.“

Im „multisexuellen Kommunikationsraum“, ein paar Meter von der Mensa entfernt, sitzen Steve, Rieke und Gigi vom Schwulenreferat und diskutieren lachend über die Begriffsgeschichte der Sodomie. Eine Website haben sie auch (http://userpage.fu-berlin.de/ milch). Der Raum ist sehr gemütlich und wurde deshalb eingerichtet, „weil die Vollversammlungen einen Antrag abgelehnt haben, in der Resolution auch rassistische und sexuelle Gewalt zu verurteilen“, sagt Steve.

Besonders verärgert ist er auch darüber, daß sich die Demoleitung vor ein paar Tagen von Studenten distanzierte, die am Ku'damm ein bißchen herumgerangelt hatten. „Mit einer Studentenschaft, die nicht mal das hinkriegt, haben wir eigentlich ziemlich wenig gemeinsam. So haben wir uns eben überlegt, wie wir unsere Inhalte in den studentischen Protest einbringen können. Deshalb wollen wir hier ab nächster Woche mit Leuten, die so ähnlich denken wie wir, diskutieren und Filme zeigen. Dieser Raum ist jedenfalls besetzt. Heute kam ein Histo-Professor, der wollte hier sein Hauptseminar abhalten, aber der hat nicht besonders viel Widerstand geleistet. Es geht uns darum, gesellschaftskritische Inhalte in diesen Streik einzubinden und die Studentenschaft ein bißchen zu politisieren. Es soll ja nicht nur um so eine Standortsoße gehen. Ich hab' auf der Demonstration ganz schreckliche Sachen gesehen. Da hatten welche zum Beispiel so eine Laterne gebastelt, und da stand drauf: ,Ohne Bildung geht Deutschland flöten‘. Das ist völlig indiskutabel. Es geht ja nicht um Deutschland oder den Standort Deutschland. Und solchen Leuten wollen wir eben zeigen, daß wir auch noch da sind.“

Vor der Mensa wird zu einer „Bildung statt Böller“-Demo aufgerufen. Eigentlich absurd, denn die Geisteswissenschaften sind ja in erster Linie Luxus, wie Musik oder Theater. „Kommt ihr, kommen die Medien“, heißt es irgendwo. Philosophie-Doktorand Willi findet, daß es „im Grunde genommen“ reichen würde, „wenn man die Medien mit Streikoberfläche versorgt, und hinter der Fassade läuft das Leben weiter.“ Das klingt vielleicht ein bißchen zynisch am Anfang eines Protestes, der sehr groß zu werden verspricht.

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