■ Vorlauf: Parteiliches Porträt
„Ohne Bewährung. Psychogramm einer Mörderin“ (22.35 Uhr, ORB)
Aelrun Goettes Dokumentarfilm versucht, eine Metamorphose zu zeigen: von der 15jährigen, die mal naiv und kindlich, mal verschlagen mit dem Gerichtsgutachter um jede Aussage ringt, bis zur 21jährigen, die selbst sagt, sie wisse manchmal selber nicht, „was genau sie da gemacht“ habe – und ob es nicht besser wäre, sie bliebe im Knast. Das sind die Momente, in denen Jeannette S. der Tat, die sie für acht Jahre und sechs Monate Jugendstrafe hinter Gitter brachte, und ihrer Vergangenheit als mißhandeltes und mißbrauchtes Mädchen am nächsten kommt.
Dreieinhalb Jahre lang führte Goette (Jeanette S.' spätere Vollzugsbetreuerin) – Gespräche mit ihr. Halbpsychologischer Frage- und Antwortabtausch zur Bewältigung einer Tat, die sich im März 1992 in Schwedt (Oder) abspielte. Jeannette S. und drei andere Jugendliche traten und würgten die 13jährige Melanie H., schleppten sie in einen Keller, wo sie letztlich versuchten, sie umzubringen. Wenige Tage später starb das bewußtlose Mädchen im Krankenhaus.
Die Regisseurin zeigt ein parteiliches Porträt. Die Mittäter sowie Personen aus dem Umfeld des Opfers bleiben ausgeblendet. Nur die Sprecherin der Staatsanwaltschaft zitiert aus Protokollen und spricht in dürren Worten von der „brutalsten Tat, die Jugendliche in Deutschland jemals begangen haben“. Die Stellungnahmen der Vollzugsbeamtinnen reflektieren einerseits die öden Vollzugsbedingungen und berichten andererseits, daß die Prozeßakten unter ihnen wie Gruselromane kursierten.
Ob der ursprünglich als „filmischer Brief an die Eltern“ gedachte Dokumentarfilm diese je erreichen wird, bleibt fraglich – die Eltern verweigern bis heute jeden Kontakt. Wenn auch nicht alle Schlußfolgerungen des Films nachvollziehbar sind, so gelingt es doch, einen seltenen Blick auf die Hintergründe eines solchen Verbrechens zu werfen, und dies ohne sensationelle oder moralisierende Anklänge. „Ich bin ein Mörder und werde mein ganzes Leben lang so genannt werden“, schließt die junge Frau. Das coole Pokerface der ersten Verhöre und Gespräche ist verschwunden. Gudrun Holz
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