Malade Machos

Drohen die einstigen Jäger und Sammler zum kranken Geschlecht zu verkommen?  ■ Von Lisa Schönemann

as Mannsbild wackelt. Die knallharten Kerle sind mit dem feministischen Aufbruch erstmals in der Humangeschichte ins Hintertreffen geraten. Wie es aussieht, wurde es dafür allerhöchste Zeit: In puncto Gesundheit sind Männer eindeutig das schwächere Geschlecht. Krebs und Herz- oder Lungenerkrankungen erwischen den Muskelmann, Bäumeausreißer und Alleskönner eher als die Frau. Eventuell fällt es ihm leichter, zähneknirschend die zweite Geige zu spielen, wenn er erfährt: Das Schattendasein ist wesentlich gesünder als das Machogehabe.

„Männlichkeit an sich ist eine hochriskante Lebensform“, so die Warnung des Soziologen Walter Hollstein an die Dreitagebärte im Auditorium einer Gesundheitsfachtagung in der Hamburger Universität. Das Gespenst der Leistungsbesessenheit verfolgt sie überall hin. Daß „zur männlichen Rolle nicht nur gehört, den Widrigkeiten des Lebens mutig zu trotzen, sondern auch die damit verbundenen Ängste und Leiden nicht zuzugeben“, darin macht der Berliner die wichtigsten Ursachen des männlichen Siechtums aus.

„Männer sind nur nach Überwindung heftigster Widerstände bereit, sich auf sich selbst und die Lösung ihrer Probleme einzulassen“, hat der Wissenschaftler beobachtet. Sie vermissen Freundschaften und blicken eifersüchtig auf die Erlebnisfähigkeit von Frauen. Egal ob Hilflosigkeit oder starke Schmer-zen – Zähne zusammenbeißen heißt die Parole. Auf die Dauer mache der Körper da nicht mit.

Arbeiter wie Generaldirektoren gehen offenbar lieblos mit sich selbst um und kennen kaum Grenzen im Umgang mit Nikotin, Koffein und härteren Drogen. Dementsprechend suchen Männer ungern einen Arzt und noch seltener einen Psychologen auf, der am Ende ihr Pokerface enttarnen könnte. Das Gespenst der Leistungsbesessenheit verfolgt sie überall hin. Hollstein sieht die armen Kerle dafür den Preis zahlen, häufig in „stiller Verzweiflung“zu leben.

Mehrere Untersuchungen belegen den beklagenswerten Gesundheitszustand von Männern: Vom Säugling bis ins hohe Alter geht es ihnen schlechter als der weiblichen Ausführung des homo sapiens. Schon im ersten Lebensjahr liegt die Sterberate von Jungen um 33 Prozent höher als die der Mädchen. Bluthochdruck, Leberzirrhose und Herz-Kreislauf-Erkrankungen raffen doppelt soviele Männer frühzeitig dahin wie Frauen. Die Herren verweilen obendrein länger in Krankenhäusern. Ihre Lebenserwartung hat sich in den Industrieländern gegenüber der von Frauen um acht Jahre verkürzt. Selbst die Verkehrsopfertabellen und Suizidstatistiken werden in allen Altersstufen von Männern angeführt.

„Die sozial benachteiligten Männer haben am wenigsten vom Anstieg der Lebenserwartung in diesem Jahrhundert profitiert“, kann der Statistiker Wolfgang Korte vom Amt für Gesundheit belegen. Und „die Gene“könnten da nicht als alleinige Erklärung herhalten. Männer leben schon durch ihre Berufstätigkeit ungleich gefährlicher als Frauen, deutet der Statistiker die Zahlen. „Jeder zweite Hilfsarbeiter und 343 von 1000 Maurern melden pro Jahr mindestens einen Arbeitsunfall.“Bei der Asbestose liegen die Arbeitnehmer ebenso vorn wie bei anderen Berufskrankheiten mit Ausnahme der Hauterkrankungen. Die beträfen meistens Friseurinnen, meint Korte.

Zudem räumt der Statistiker mit dem gängigen Vorurteil auf, Menschen auf dem Land lebten gesünder als die hektischen Städter. „Keineswegs!“betont Korte. „Schon wenn ich die Landwirte ohne Atemschutzgeräte im Getreidenebel auf dem Mähdre-scher hocken sehe, dann weiß ich, das kann nicht gesund sein.“Obendrein wisse er aus eigener Erfahrung, daß die Beanspruchung durch Schützenfeste in der Provinz ganz enorm sei...

„Es wird als männlich angesehen, große Alkoholmengen in sich hineinzuschütten“, pflichtet Männerforscher Hollstein ihm bei. Am Ende tragen die stolzgeschwellten Besitzer der neuen T-Shirts mit dem Aufdruck „Dieser Bauch ist nicht angeboren, sondern das Produkt harter Arbeit“zur Kostenexplosion im Gesundheitswesen bei: Zwei Drittel aller Rettungswageneinsätze dienen dem Einsammeln umgefallener Helden.

Während die Hamburger Gesundheitsbehörde sich für eine mehr an den Problemen der Männer orientierte Medizin ausgesprochen hat, möchte der Männerforscher lieber „das patriarchalische System entschärfen“. Mit dem Schweigen, Verdrängen und den anderen männlichen Disziplinen soll jetzt Schluß sein. Will der Siegertyp nicht in latenter Selbstverachtung dahinsiechen, muß er wie ein Weltmeister reden – über Konkurrenz und Versagensängste wie über die Panik vor Bauch, Alter und Glatze.