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Schnell, schnell, Isabell!

■ Bausparer sind eher solide Menschen, nur der Wüstenrot-Tag treibt sie öfter zur Hektik. Ende Dezember zum Beispiel. Die aufputschende Werbung allerdings gibt+s seit 1995 nicht mehr

Am 31.12. ist wieder Wüstenrot-Tag. Eine von diesen tollen Erfindungen, die jeder kennt, von denen aber niemand weiß, wozu sie eigentlich gut sind. Fast niemand, denn zumindest die Wüstenrot- Bausparer sollten doch zumindest rudimentäre Kenntnisse darüber haben, ebenso wie die Kunden aller anderen Bausparkassen. Denn eine Art Wüstenrot-Tag gibt es bei jeder von ihnen, nur heißt er dort nicht so.

Das markante Datum kehrt viermal jährlich wieder. Immer zum Quartalsende werden die angehäuften Bausparguthaben der BundesbürgerInnen bewertet, nach einem Verfahren, dessen Erläuterung die KundenberaterInnen üblicherweise mit den Worten „Es ist im Prinzip ganz einfach“ beginnen, wodurch die KundInnen wiederum mit signifikant hoher Wahrscheinlichkeit alle Ambitionen aufgeben, die weiteren Ausführungen nachzuvollziehen. Unterm Strich kommt dann folgendes dabei heraus: Zum Ende eines jeden Vierteljahres ermitteln die Banken und Sparkassen für jeden Bausparvertrag nach einem „Zeit- mal-Geld-System“ abhängig von der Höhe der Sparraten und der Dauer der Einzahlungen eine Bewertungszahl, die darüber entscheidet, welche Kontrakte in der nächsten Auszahlungsperiode zuteilungsreif sind.

Im Prinzip, wie gesagt, ganz einfach. Wer noch am Wüstenrot-Tag einen ausreichenden Betrag einzahlt, erhält sofort eine Bewertungszahl. Wer das gleiche erst einen Tag später tut, muß drei Monate warten. Der praktische Nutzen hält sich, gemessen an der üblichen Laufzeit der Bausparverträge, in engen Grenzen; der psychologische Effekt dagegen ist enorm. „Für alle Mitarbeiter im Außendienst“, so Wüstenrot-Pressesprecher Rainer Christian Rudolf, „herrscht höchste Alarmstufe. Urlaubsgedanken kommen gar nicht erst auf.“

Daran ist auch die Werbung schuld. Die Parole vom Wüstenrot-Tag geben die Bausparer seit März 1973 aus, doch erst im September 1976 hieß es erstmals „Gib Gas, Gustav!“. Ein Traktorfahrer in Schumacher-Manier eröffnete eine Werbekampagne, die längst zum Klassiker geworden ist: „Schnell, schnell, Isabell!“, „Hans, mach Dampf!“ oder „Renn, Ben!“ sind tief ins kollektive Unterbewußtsein gerutschte Aufforderungen zur Eile: Wer seinen Bausparvertrag rechtzeitig abschließen will, der muß jetzt zu Wüstenrot. Es braucht schon eine oder zwei Millisekunden Bedenkzeit, bevor einem wieder einfällt, daß es auch noch andere Unternehmen in dieser Branche gibt.

Dieser enorme Zeitvorsprung hat natürlich auch Nörgler auf den Plan gerufen: „Im Zeitalter des Verbraucherschutzes“, so Pressesprecher Rudolf, konnte der Hinweis nicht ausbleiben, daß die „Schnell, schnell!“-Kampagne einen Zeitdruck suggeriert, der in leicht schiefem Verhältnis zum tatsächlich für den Kunden erreichbaren Vorteil steht.

Im September 1995 hatte es sich mit „Ab durch die Mitte, Gitte!“ dann ausgespurtet. Das war natürlich, wie Wüstenrot-Werbeleiter Stefan Willhauf versichert, nicht der Kritik geschuldet, sondern dem „generellen Branchentrend“, die Bedeutung der Bauspar-Stichtage weniger zu betonen.

Womöglich dient dies ja auch dem Streßabbau mittels gleichmäßigerer Auslastung der MitarbeiterInnen, denn, so Willhauf, „unsere Dienstleistung ist natürlich auch an anderen Tagen erhältlich“. Jochen Siemers

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