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Ärzte können sich nicht vor Unterhaltszahlungen für Kinder drücken, die gegen den Willen der Eltern aufgrund ärztlicher Fehler geboren wurden. Ohne Erfolg bemühten zwei klagende Ärzte vor dem Bundesverfassungsgericht die "ethischen Grundvor

Ärzte können sich nicht vor Unterhaltszahlungen für Kinder drücken, die gegen den Willen der Eltern aufgrund ärztlicher Fehler geboren wurden. Ohne Erfolg bemühten zwei klagende Ärzte vor dem Bundesverfassungsgericht die „ethischen Grundvorstellungen“ des Grundgesetzes.

Kein ethischer Bonus für Pfuscharbeit

Kann ein ungeplantes Kind juristisch als „Schaden“ betrachtet werden? Seine bloße Existenz als Grund dafür herhalten, von einem Arzt, der die Geburt nicht verhindert hat, den Unterhalt zu verlangen? In zwei gestern entschiedenen Verfassungsklagen waren diese Fragen aufgeworfen worden. Ein Kind, so hieß es in den Eingaben, müsse „um seiner selbst willen“ als Persönlichkeit geachtet und geliebt werden. Es dürfe nicht als „wirtschaftliche Belastung“ zu einem bloßen „Schadensposten“ herabgewürdigt werden. Denn wenn das Kind als Schaden betrachtet werde, liege darin immer auch eine Art „Unwerturteil“ über das Kind selbst begründet.

Schöne Worte voll humanistischer Tiefe. Doch die Verfassungsbeschwerden waren nicht etwa von Kinderschutzgruppen oder Behindertenverbänden eingelegt worden. Es waren zwei Ärzte (und wohl auch die dahinterstehenden Versicherungen), die sich darum drücken wollten, für den Unterhalt der Kinder zu zahlen, die aufgrund ärztlicher Fehler geboren wurden. Die klagenden Ärzte sahen sich in ihren Grundrechten auf Eigentum, Beruf und ihrer allgemeinen Handlungsfreiheit verletzt, nicht zuletzt aber bemühten sie die „ethischen Grundvorstellungen“ des Grundgsetzes.

Ohne Erfolg. Das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) in Karlsruhe bekräftigte gestern, daß solche Schadenersatzforderungen auch weiterhin mit dem Grundgesetz vereinbar sind. In beiden gestern entschiedenen Fällen hatten Anfang der neunziger Jahre Zivilgerichte abschließend festgestellt, daß ärztliche Kunstfehler vorlagen. Im ersten Verfahren ging es um die mißglückte Sterilisation eines Familienvaters, dessen Frau kurze Zeit nach dem Eingriff erneut schwanger wurde und einen vierten Sohn gebar. Im zweiten Fall hatte ein Arzt an der genetischen Beratungsstelle der Uni Tübingen einen Fehler gemacht. Damals wollten die Eltern eines geistig und körperlich behinderten Mädchens wissen, ob sie noch eine zweite Schwangerschaft wagen sollten. Nachdem die Beratungsstelle die Gefahr von Erbkrankheiten als „äußerst unwahrscheinlich“ einstufte, wurde die zweite Tochter jedoch mit den gleichen geistigen und körperlichen Behinderungen geboren wie ihre Schwester.

Lange Zeit war es bei den deutschen Gerichten völlig unbestritten, daß in solchen Fällen Schadenersatz zu zahlen ist. Richtungweisend wirkte Ende der sechziger Jahre das Urteil gegen einen Apotheker, der zwei Markennamen verwechselte und einer Frau statt der „Pille“ ein Magenpräparat überreichte. Er mußte später die Hälfte des Unterhalts des gezeugten Kindes bezahlen. Auch der Bundesgerichtshof (BGH) schloß sich Anfang der achtziger Jahre in mehreren Urteilen dieser Linie an.

Kritik gab es damals jedoch von AbtreibungsgegnerInnen, die diese Rechtsprechung als „lebensfeindlich“ anprangerten. Ebenso von Teilen der Krüppelbewegung, die es diskriminierend fanden, wenn für ein behindertes Kind mehr Schadenersatz verlangt werden konnte als für ein gesundes. 1993 schlug sich diese Kritik dann auch im Antiabtreibungsurteil des BVerfG nieder (siehe Beitrag unten).

Doch der BGH dachte nicht daran, von seiner Linie abzugehen. Schon ein Jahr später versuchte er Mißverständnisse auszuräumen: Natürlich könne man nicht die Existenz des Kindes als Schaden ansehen. Relevant sei aber der Unterhaltsaufwand, der durch die „planwidrige Geburt“ ausgelöst wurde. Damit war ein offener Streit zwischen dem Bundesgerichtshof und dem Zweiten Senat des Verfassungsgerichts ausgebrochen.

Gestern nun urteilte in Karlsruhe der Erste Senat, der sich im Streit zwischen BGH und Zweitem Senat gegen seine KollegInnen stellte und die obersten Zivilrichter unterstützte. Wie der BGH findet auch der Erste Senat, daß man zwischen dem Kind und seinen Kosten differenzieren müsse. Entscheidend sei, wie das Kind von seinen Eltern angenommen werde. Die Entstehung eines guten Eltern-Kind-Verhältnises werde dabei eher gefördert, wenn die Eltern vom Unterhaltslasten befreit sind.

Mit den Ärzten hatte das Gericht dagegen wenig Mitleid. Wer eine erlaubte Tätigkeit übernehme, müsse auch dafür einstehen, daß er sie richtig ausführe. Da niemand gezwungen werde, Sterilisationen oder genetische Beratungen durchzuführen, so die Argumentation des Senats, sei es etwas seltsam, daß sich das Gewissen erst rege, wenn es um die Haftung für schlechte Leistungen gehe.

Auch eine Gefahr, daß genetische Beratungsstellen nun vorsichtshalber vermehrt zur Abtreibung raten, mochte der Senat nicht sehen. Derartiges sei mit dem „ethischen Selbstverständnis“ der Ärzteschaft nicht vereinbar. Christian Rath

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