■ Die Staatsanwaltschaft erhebt Anklage gegen Thyssen-Chef Vogel: Gestutzte Federn
Gegen den obersten Thyssen-Chef Dieter Vogel wird nach jahrelangen Ermittlungen nun offiziell Anklage von der Berliner Staatsanwaltschaft erhoben. 73 Millionen Mark sollen unter der Zuständigkeit von Vogel und einigen Kollegen bei der Abwicklung des ehemaligen DDR-Konzerns Metallurgiehandel unrechtmäßig in die Kassen von Thyssen umgeleitet worden sein.
Damit wird einer der Stars unter den deutschen Konzernherren empfindlich getroffen. Das Verfahren wäre normalerweise nur ein Fleck auf der ansonsten strahlend weißen Weste und nicht weiter schlimm, solange der Umsatz und der Profit der Thyssen AG weiter stimmen. Schließlich hat der 56jährige nicht direkt zu seinem persönlichen Vorteil gehandelt.
Vogel hat seinem Unternehmen nur mit der zur Wendezeit üblichen Cleverness der Westdeutschen zu einigen Millionen Mark zusätzlich verholfen. Da ist es Pech, höchstens aber ein verzeihbarer Kunstfehler, wenn die Staatsanwaltschaft aus den damaligen milliardenschweren Ost-West-Transfers der Industrie ausgerechnet den von Herrn Vogel herauspickt. Die Thyssen-Rechtsabteilung hilft, der Konzern zahlt die millionenschweren Kautionen, damit ihre Manager auf freiem Fuß bleiben und die Geschäfte weiterlaufen. Nun ist aber Dieter Vogel nicht nur Thyssen- Chef, er soll auch oberster Boss des kommenden deutschen Stahlriesen Thyssen-Krupp werden. In dieser Situation liefert die Anklage der Staatsanwälte willkommene Munition, die die Kruppianer dringend brauchen: Ihr Kandidat für den Chefposten des gemeinsamen Konzerns, Gerhard Cromme, hätte ansonsten wenig Chancen.
Immerhin ist Thyssen größer als Krupp, und Vogel kann darüber hinaus höhere Rendite als sein Konkurrent vorweisen. Cromme dagegen hat seinen Ruf als Bezwinger der Stahlkumpels erworben. Der neue Großkonzern aber braucht keinen Sanierer, sondern einen schlauen Kopf, wie er Vogel nachgesagt wird. Da ist eine Anklage gegen Vogel für Cromme ein letzter Strohhalm.
Das wissen die Chefs und die Juristen von Thyssen natürlich. Sie haben sich deshalb an „geeigneter Stelle“ beschwert – sprich bei den politischen Vorgesetzten der Berliner Staatsanwälte. Doch die Ermittler haben die Flucht nach vorn angetreten und die Anklage geschrieben. Nach dieser erfreulichen Überraschung wird es noch mal spannend bei Thyssen und Krupp. Reiner Metzger
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