piwik no script img

■ Die Streikstudenten können nicht mit Parolen aufwarten – und genau deshalb erfreuen sie durch ästhetische FortschritteUnd weiter streikt das Straßenpflaster

„Akademiker? Damit kannst du die Straße pflastern!“ ist ein Satz, den man als Heranwachsender in den 70er Jahren häufig anhören mußte – zumeist von Leuten, die unter dem Gegenteil der abstoßenden Krankheit Bildungsdünkel litten: unter dem Komplex, zuwenig Bildung genossen zu haben. Kompensiert wurde dieser Mangel entweder durch trübe Reden über die existentielle Chancenlosigkeit des studierten Menschen schlechthin oder aber, noch trauriger, durch den hilflosen Versuch, auch in der unbekannten Welt des Fremdworts noch mitzuhalten bzw. sogar vorneweg zu sein.

Ein weitläufig Verwandter etwa, von seinen stupiden Eltern schon nach neun Pflichtjahren von der Schule genommen, damit der Junge auch einmal etwas genauso Stupides werde wie sie (nämlich das, was man auf dem Land einen „patenten Kerl“ nennt), orderte im Lokal bevorzugt Steak, das er, weil er als einer Fremdsprache mächtig gelten wollte, aber „Stiek“ aussprach (ganz im Gegensatz zum Teakholz, das bei ihm „Teykholz“ hieß), und gern rundete er diese Bestellung mit den weltmännischen Worten ab: „Aber medium bitte, also schön durchgebraten.“ Befragt, was er trinken wolle, beschied er: „Nichts, danke. Nicht immer diese Alkoholabszesse!“ – allerdings nur, um sich später am Abend um so hemmungsloser vollzuknattern und regressiv in sein Gedengel über Akademiker – „Das bringt doch alles nichts!“ – zu verfallen.

Trotz dieser profunden Warnungen begann ich später ein Studium an der FU Berlin; nach bereits fünf Wochen aber war der Spaß, der keiner war und der „Theater-“ bzw. „Kommunikationswissenschaften“ hieß, vorbei; unerträglich schien es mir, ruhig anzusehen, wie die Studierenden schon mitschrieben, wenn der Prof oder Dozent vorne nur „Guten Tag!“ sagte.

Kürzlich las ich im Deutsch- Amerikanischen Institut in Heidelberg; im Anschluß fragte eine einköpfige Abordnung der Heidelberger Streikstudenten in Gestalt eines unglaublich höflichen jungen Mannes, ob ich nicht auch nachts im besetzten Institut für die Streikstudenten lesen könne; so kam es noch zu ein paar Gutenachtgeschichten im Streikcafé.

Später wurde reichlich über den Streik debattiert; besonders gefiel mir an den Streikenden die Abwesenheit all jener Phrasen, mit denen man in den 70er und 80er Jahren so gründlich und so redundant beharkt worden ist; niemand meinte zwanghaft für die Dritte Welt, die Volksmassen oder für sonst jemanden sprechen zu müssen, und, was die Sache noch sympathischer machte, es schien, als genierten sich die Streikenden beinahe dafür, nicht mit Parolen aufwarten zu können, sondern ihre Belange in ihren eigenen Worten zu formulieren, was nicht ohne gelegentliches Ungeschick abgehen konnte. Das macht aber nichts, denn alles ist erträglicher als politisches Plappergeientum.

Viel komischer war es, mitanzusehen und -zuhören, wie einige ältere Akademiker auf die Streikenden reagierten: Nachgerade ein Ruck ging durch die Männer, die Ende der 60er und Anfang der 70er Jahre am Start gewesen waren, aber kein „Ruck“, wie ihn Roman Herzog oder sein Spiegel- Bauchredner Peter Schneider beschwören, sondern ein ganz rührender: Sie wurden plötzlich wieder jung, erzählten Geschichten über den damals von ihnen angezettelten Protest und waren ganz aufgeregt und berauscht von den – merklich schöngefärbten – Erinnerungen an eine Zeit, da sie, so schien es ihnen jedenfalls, mutig gewesen waren, statt wie heute vom Leben gezeichnet bzw. vom Lügen deformiert; die Atmosphäre von Aufbruch und milder Anarchie (und die Anwesenheit junger Frauen) taten ein übriges, um sie zum Schwärmen zu bringen. Ins Peinliche allerdings kippte es, als plötzlich wieder Zensuren verteilt wurden; sie seien früher ja noch politisch gewesen, malmten die Kerle, ganz im Gegensatz zu den braven Studis von heute, und – zack! – war der Ton falsch und alles gelogen: Ältere Säcke redeten Knäcke.

Aufgenommen wird solch olles Geschwätz von beflissenen Studenten, die auf nichts bedacht sind als auf ihr Fortkommen; wen der Streik stört, weil er ihn daran hindert, flink seine Scheine ins trockene zu bringen, der sagt das schlauerweise natürlich nicht so, sondern denunziert die Streikstudenten, indem er ihnen das taktische Lob Helmut Kohls in die Schuhe schiebt, die Studenten wollten ja keine Revolution machen und seien deshalb schon irgendwie in Ordnung. So richtig eklig wird der Typus des Klassenstrebers, wenn er sich zur Durchsetzung seiner Interessen auch noch pathetisch auf einen „Klassenkampf“ beruft, für den er sich nicht im mindesten interessiert.

Dabei tobt dieser Krieg heftig, und das haben die angeblich unpolitischen Studenten längst kapiert. In den Theatern Berlins treten allabendlich Studenten auf die Bühne, erschießen sich zum Schein gegenseitig und fordern das Publikum auf, es ihnen nachzutun: Opfer, so ächzen die Prediger aller Fraktionen, müssen schließlich gebracht werden, und jeder Hungerleider oder sonstwie Kostenverursacher nimmt dem Staat die schmutzige Arbeit ab, wenn er sich selbst aus dem Verkehr zieht. Das ist, bei aller theatralischen Übertreibung, das Schicksal, das mindestens einem guten Drittel, wenn nicht der Hälfte der Insassen des Landes zugedacht ist: verkümmern und nach Möglichkeit kostensenkend wegsterben, und das bitte hübsch reibungslos, still und ohne Aufsehen zu erregen.

Nicht nur inhaltistisch, sondern auch ästhetisch gibt es manchen Fortschritt bei den Streikstudenten (wenn auch, wie man so sagt, der Groschen kein Sturzbomber ist): Weil ich im Juni 1996 in der taz moniert hatte, daß noch immer Pappsärge mit Aufschriften wie „Demokratie“, „Frieden“, „Sozialstaat“ oder „Bildung“ herumgeschleppt würden zum Zwecke des Protests, und wie wenig Bewußtsein darüber herrsche, daß die Scheußlichkeiten der gesellschaftlichen Wirklichkeit nicht gut mit gleichfalls scheußlichen ästhetischen Mitteln bekämpft werden könnten, brachte mir ein junger Mann aus Marburg kurzerhand einen von ihm aus dem universitären Fundus beiseite gebrachten Pappsarg vorbei. So ziert seit Anfang Dezember ein wuchtiges, pechschwarzes und sinnloses Möbel meine Wohnung. Etikettiert ist es folgendermaßen: „Garantiert original Marburger Demosarg, beschafft von Miele (AK Sicherheit & Service)“.

Da kann man mal sehen, wozu Straßenpflaster in der Lage ist. Wiglaf Droste

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen