piwik no script img

Das PortraitEin Realist unter Tage

■ Alfred Schmidt

Den Ehrentitel „Bürger des Ruhrgebiets“ verdiente Alfred Schmidt sich als Lobbyist – Lobbyist nicht für die Ruhrkohle AG, sondern für den einzelnen Bergmann. Als Zeichner fuhr er ein Vierteljahrhundert regelmäßig auf Zechen ein und dokumentierte die Welt der Kumpel: die Dunkelheit, die Maschinen, den Schweiß. Sein Kunstbegriff war „Teilhabe an der Wirklichkeit“. Bergbau galt ihm als „eine der menschlichen Tätigkeiten mit der elementarsten, der dichtesten Beziehung zur originären Welt, einer Welt ohne menschliche Spur“.

Im Sommer porträtierte der Gelsenkirchener dann vier Monate lang Arbeiter der Bremer Vulkan-Werft. Wie in den Bergleuten sah er in ihnen Opfer der neoliberal orientierten Marktwirtschaft: „Kann es ,demokratisch' genannt werden, mit Menschen, die sich in Bereiche sinnvoller Tätigkeit unserer Gesellschaft eingebracht haben und darin – zum Nutzen aller – redlich wirken, zu verfahren wie mit Gegenständen?“

Für Alfred Schmidt war es wichtig, Menschen zu erreichen, die dem Kulturbetrieb genauso skeptisch gegenüberstanden wie er selbst. Lieber als in Galerien brachte er seine Zeichnungen dorthin, wo sie entstanden waren, unter Tage. Man hat Schmidt auch mit einem Handkarren voller Bilder durchs Land ziehen sehen, die Portraits der Schiffsbauer hat er auf Postkarten drucken lassen und verschickt: „Eine Kunstaktion gegen Dekultivierung, gesellschaftliche Verarmung und gegen Verfallenheit an ein Denken, das den Menschen unbeachtet läßt.“ Für 1998 plante er die Kunstaktion „Bilderschiff“: Binnenschiffer, auch eine aussterbende Art, sollten seine Bilder mitnehmen über Flüsse und Kanäle. Alfred Schmidt hat keine Antwort auf die Fragen gefunden, die ihn auch in Bremen beschäftigten: „Ist nicht die Gesellschaft die leistungsfähigste, die keines ihrer Glieder hindert, die vielmehr jedes ihrer Glieder fördert, ihm innewohnende Fähigkeiten zu entwickeln und zu gebrauchen und so – vielleicht auf allein ihm mögliche Weise – den Wohlstand der Gesellschaft zu mehren? Wird nicht einer solchen Gesellschaft die Zukunft gehören?“

67jährig ist Schmidt am Wochenende in einem Hagener Krankenhaus gestorben. Die Bergleute an Ruhr und Saar haben einen solidarischen Kumpel verloren. Patrick Bierther

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen