: Der Stellvertreter
■ Fast hätte das BE sich eine neue Bleibe suchen müssen, doch dann gab Rolf Hochhuth die Mietforderung für das Theater am Schiffbauerdamm auf und spielt jetzt lieber mit
Die Unsicherheit der vergangenen Tage war Staatssekretär Lutz von Pufendorf noch deutlich anzumerken. Im Foyer des Berliner Ensembles saß er gestern vormittag auf dem Podium, um einer Handvoll Journalisten den nun endlich abgeschlossenen Mietvertrag zwischen der Ilse-Holzapfel-Stiftung und dem Land Berlin vorzustellen. Und bei jeder dritten Silbe neigte er sich um Bestätigung heischend zu den neben ihm sitzenden Rechtsanwälten Peter Raue (für das BE) und Klaus Gebhardt (für die Ilse-Holzapfel-Stiftung). Stimmt's so? Recht so? Ist doch so? Ja, es ist so.
Nachdem die Pressekonferenz eigentlich anberaumt wurde, um einen Zwangsumzug des Berliner Ensembles in ein anderes Theater zu verkünden, konnte nun doch erleichtert vom Gegenteil die Rede sein: Rolf Hochhuth und die nach seiner Mutter benannte Ilse-Holzapfel-Stiftung, die das Hauptgebäude des Theaters am Schiffbauerdamm im März 1996 gekauft haben, verzichten auf die angekündigte Miete von 1,3 Millionen Mark jährlich und überlassen dem Land Berlin das Haus für 30 Jahre zum bisherigen Zins von 360.000 Mark plus Inflationsausgleich.
Da das Land auch für notwendige Instandsetzungs- und Renovierungsarbeiten verantwortlich ist, hat Hochhuth trotz seines Rückziehers keinen schlechten Deal gemacht. Besser, als allein im Theater am Schiffbauerdamm herumzusitzen und das als Arbeitsstätte von Brecht und Weigel denkmalgeschützte Haus zu einem Museum auszupuzzeln, ist der fortgesetzte Betrieb für ihn in jedem Fall. Und darauf wäre es hinausgelaufen, denn die Senatskulturverwaltung war entschlossen. Zum Äußersten sozusagen. Nun aber ist alles gut. Das Berliner Ensemble bleibt vor Ort, und mit Claus Peymann kann die Intendanz ab 1999 zu Ende verhandelt werden.
Das heißt: Fast alles ist gut. Denn es bleibt der Jugendtraum des Rolf Hochhuth, als Künstler anerkannt zu werden, und das hat er dem Berliner Ensemble jetzt erfolgreich abgepreßt. Die Vereinbarung zwischen dem Land Berlin und der Ilse-Holzapfel-Stiftung, die übrigens mit Peymann „eng abgestimmt“ worden ist, wie Pufendorf betonte, sieht vor, daß die Stiftung, also Hochhuth, in den Theaterferien im Sommer fünf Wochen lang auf eigene Kosten ein eigenes Programm machen darf. Hochhuth-Stücke spielen zum Beispiel. Oder die der von Hochhuth hoch geschätzten Dramatikerin Esther Vilar. Stücke von wichtigen „politisch-gesellschaftskritischen Bühnenautoren des 20. Jahrhunderts“ eben, auf deren Pflege Hochhuth die Stiftung verpflichtet hat.
Und falls die Stiftung eine Inszenierung von Hochhuths „Stellvertreter“ produzieren wird – und das wird sie sofort tun, handelt es sich doch schließlich um Hochhuths einziges Erfolgsstück –, dann hat sie das Recht, diese jedes Jahr in der Zeit vom 16. bis zum 18. Oktober am Schiffbauerdamm zu zeigen. Mit dem 1963 uraufgeführten Stück über die Rolle der Kirche während der Nazizeit soll an den Beginn der Transporte Berliner Juden in die Konzentrationslager am 16. Oktober 1943 erinnert werden. Und so wäre der Nachruhm Hochhuths denn auch gesichert. Er, dessen Bestrebungen, der Direktor des Berliner Ensembles zu werden, noch vor zwei Jahren von allen belächelt wurden, hat es jetzt auf Zeit geschafft.
„Wir können nunmehr in eine gute Zukunft sehen“ sagte Lutz von Pufendorf abschließend, noch immer verunsichert neben sich blickend. Auch die Herren Anwälte nickten über ihrer Krawatte (Gebhardt) und ihrer Fliege (Raue). Und hinten links saß der Schauspieler Axel Werner, Ensemblemitglied seit langem Gedenken, und machte unter seiner Schiebermütze ein irgendwie ungläubiges Gesicht. Petra Kohse
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen