Wir lassen lesen: Ist Kohl gleich Seeler?
■ Norbert Seitz versucht weiter seine „Doppelpässe“ zwischen Ball und Politik
„Nimm den Seitz bloß nicht zu ernst, das tut er selbst ja auch nicht.“ Es spricht manches dafür, diesen Rat eines Seitzianers zu beherzigen, wenn man sich die „Doppelpässe“ zwischen dem nicht unberüchtigten Fußball-Feuilletonisten und seinen rund 20 Gastautoren aus Politik und Medien anschaut. Doch oft genug erweckt der Journalist aus Bonn den Eindruck, das Schreiben über den Kickerbetrieb sei für ihn auch Parteiarbeit – wie es sich gehört für einen Mann, der die SPD-nahe Kulturzeitschrift Neue Frankfurter Hefte mitredigiert.
„,Linken Fußball‘ gibt es ebensowenig wie eine identitätssichere ,linke Politik‘ im Wandel der Industriegesellschaft“, schießt er zum Beispiel in Richtung Menotti, und das klingt zur Hälfte (die Diskussion über den Trainer-Philosophen fällt heute ausnahmsweise mal aus) nach purer sozialdemokratischer Ideologie.
„Doppelpässe“ ist eine stark erweiterte Neuauflage des 1987 erschienenen Buchs „Bananenrepublik und Gurkentruppe“, in dem Seitz die „nahtlose Übereinstimmung von Fußball und Politik“ ausgemacht hatte: Adenauer gleich Herberger, Brandt gleich Schön – solche Analogien empfand auch manch durchaus kluger Fußball-Exeget damals als erfrischend.
Gewiß, das Spiel, das Seitz schon lange im Schlaf beherrscht, ist nicht ohne Reiz. Neulich, in der Halbzeitpause eines deprimierenden Spiels, bezeichnete jemand Ewald Lienen als den Alfred Mechtersheimer des Fußballs: Der Politiker sei von den Grünen und der Friedensbewegung zu den Braunen gewechselt und der ehemalige Europaparlaments- Kandidat der kommunistischen Friedensliste über Umwege zum einem Klub, dessen Fans den Mechtersheimer mehrheitlich wohl schätzten, wenn sie ihn denn kennen würden.
Solche Gedankenspielereien bereiten für kurze Zeit Vergnügen. Aber über ein Buch, in dem auf mehr als 250 Seiten gleichartig komische Ideen gebündelt sind, mag man nicht so recht schmunzeln. Zumal sich Fußball und Politik für Analogiezwecke beliebig zurechtbiegen lassen, wie nicht zuletzt der „Doppelpässe“-Beitrag von Friedbert Pflüger zeigt, der, im Gegensatz zu dem, was seine Politiker-Kollegen Leutheusser-Schnarrenberger, Scharping, Schröder et al. irgendwem beim Frühstück diktiert haben, immerhin referierenswert ist.
Der Christdemokrat widerspricht Seitz' These, daß Kohl gleich Vogts sei: „Kohl ist vielseitig verwendbar, als Ausputzer, als Regisseur im Mittelfeld, manchmal weicht er ein wenig nach halbrechts aus, am liebsten aber schießt er als Mittelstürmer die Tore, ganz wie Uwe Seeler... (Kohl) ist im Laufe seiner Karriere – wie Uwe Seeler – immer wieder abgeschrieben worden.“
Spinnen wir das mal ein bißchen weiter: HSV-Präsident Seeler wirkt momentan wie eine Marionette ohne Puppenspieler, eine mitleiderregende Figur, unfähig, den Niedergang seines Vereins aufzuhalten. Geht es dem anderen Dicken ähnlich?
Auch einer von Seelers Nachfolgern auf dem Rasen, Horst Hrubesch, wird als Analogiematerial verarbeitet. Er sei, wie Wischnewski in Mogadischu, ein „schmuckloser Exekutor“ gewesen, meint Seitz. Ohnehin habe die Schmidtsche Politik Ender der 70er Jahre dem „hanseatischen Zweckdenken“ entsprochen, das der HSV ab 1977 an den Tag gelegt habe.
Der beste Text in diesem Buch stammt von Joep M. Bik. In „Mythos Cruijff“ beschreibt er Gemeinsamkeiten in der Entwicklung von Fußball und Gesellschaft in den Niederlanden, ohne in Analogisierungszwänge zu verfallen. Annehmbar auch der Beitrag von Robert Misik über den Einfluß des Fußballs auf die Bildung des österreichischen Nationalstaats.
Die beiden Texte erinnern in Ansätzen an Simon Kupers 1995 erschienenes Buch „Football Against The Enemy“. Der Financial Times-Redakteur beschreibt dort in ausführlichen Reportagen u.a. aus afrikanischen und exsowjetischen Staaten, wie Fußball und Politik einander durchdringen. Wenn man dieses Thema beim Wickel hat und ein Buch darüber schreiben will – dann muß man's machen wie Kuper. Rene' Martens
Norbert Seitz: „Doppelpässe. Fußball und Politik“. Eichborn, Frankfurt/Main 1997, 24 DM
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