: Palästina gibt es nur häppchenweise
■ Maximal 13 Prozent des besetzten Westjordanlandes will Israels Regierung den palästinensischen Autonomiebehörden überlassen
Jerusalem (taz) – Israels Regierung will den überwiegenden Teil des Westjordanlandes besetzthalten. Gestern schloß das Kabinett unter Ministerpräsident Benjamin Netanjahu per Beschluß einen von der Regierung unter Jitzhak Rabin mit den Palästinensern ausgehandelten weitreichenden Abzug aus dem besetzten Westjordanland aus. Zwei „Sicherheitszonen“ sowie Einrichtungen von „strategischer Bedeutung“ sollen auch nach einem endgültigen Frieden mit den Palästinensern unter israelischer Kontrolle bleiben. Bei allen Verhandlungen mit den Palästinensern werde sich Israel von einer Liste seiner wichtigen Interessen im Westjordanland leiten lassen, heißt es in dem Kabinettsbeschluß.
Als wichtig für die nationalen israelischen Interessen werden das Grenzgebiet entlang des Jordans, eine Zone entlang der alten israelischen Grenze vor 1967, die Umgebung von Groß-Jerusalem und die Umgebung jüdischer Siedlungen eingestuft. Wichtig seien ferner Militärbasen, jüdische historische Stätten, die Wasserressourcen, das Stromnetz und die wichtigsten Verkehrswege wie beispielsweise die Umgehungsstraßen für Siedler. Nach einem Bericht des Radiosenders „Stimme Israels“ werden demnach höchstens 13 Prozent des Westjordanlandes an die palästinensische Autonomiebehörde übergeben. Das Kabinett folgte mit dieser Entscheidung Vorgaben von Infrastrukturminister Ariel Sharon.
Die Palästinenser fordern unter Berufung auf das Hebron-Protokoll vom Januar vergangenen Jahres die Rückgabe von rund 90 Prozent des Westjordanlandes vor Beginn der Abschlußverhandlungen. Mit dem Beschluß sind die Aussichten auf die von den USA geplante Wiederbelebung des Friedensprozesses praktisch auf Null gesunken. Der palästinensische Chefunterhändler Saib Erekat beschuldigte Netanjahu gestern, den Friedensprozeß systematisch zerstören zu wollen. „Tag für Tag beweist er, daß er zum Frieden unfähig ist“, sagte er. Palästinenser-Präsident Jassir Arafat erklärte, er werde bei seinem Besuch in Washington die USA auffordern, mehr Druck auf Israel auszuüben.
Netanjahu wird am 20. Januar zu Gesprächen mit US-Präsident Bill Clinton in Washington erwartet. Zwei Tage später trifft Clinton Arafat. Die Bedingungen für einen israelischen Abzug stießen in Washington auf ungewöhnlich deutliche Ablehnung. US-Vermittler Dennis Ross sagte dem US-Fernsehsender CNN, keine Seite könne der anderen Bedingungen vorlegen.
Auch in der israelischen Öffentlichkeit wird der neue Vorstoß kritisiert. Kommentator Hemi Schalev schrieb gestern in der Tageszeitung Maariv, die zwölfseitige Liste wirke wie ein endgültiger Scheidungsbrief, mit dem sich Israel vom Friedensprozeß verabschiede. „Die Mehrheit der Öffentlichkeit wird wegen einer Liste von Forderungen, die kleinlich und provozierend wirken, nicht die Einstellung des Friedensprozesses unterstützen“, so Schalev.
Bereits am Dienstag hatte das Kabinett Vorbedingungen für den seit Monaten überfälligen, nächsten Teilrückzug gestellt. So müßten die Palästinenser gegen die islamische Opposition vorgehen, die PLO-Charta nochmals revidieren, als Terroristen verdächtigte Personen an Israel ausliefern und die palästinensische Polizei verringern. Erst nach einer mehrmonatigen Überprüfung werde Israel dann einen prozentual nicht festgelegten Teilrückzug vornehmen, hatte Netanjahu anschließend erklärt.
Nach der Entdeckung einer Bombenwerkstatt der islamistischen Hamas-Organisation in Nablus wächst in Israel die Angst vor neuen Anschlägen. Unter Berufung auf israelische Ermittler berichtete die israelische Presse gestern, festgenommene Hamas-Aktivisten hätten in Jerusalem, Tel Aviv und Haifa Autobomben zur Explosion bringen wollen. Die Sicherheitsvorkehrungen waren deshalb bereits zu Wochenbeginn verschärft worden. Georg Baltissen
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