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Kunst-Attentäter unterwegs

■ Bilder-Zerstörer ist nach Spaziergang aus der Ochsenzoller Psychiatrie entwichen – Kunsthallenpersonal ist wachsam

Er ist weg. Und versetzt damit alle Beteiligten in helle Aufregung. Daß der als Dürer-Attentäter verurteilte Hamburger Hans-Joachim Bohlmann sich aus dem Ochsenzoller Haus 18 abgesetzt hat, hat der Leitung des Klinikums Nord gerade noch gefehlt. Der Kunst-Zerstörer verschwand am Montagnachmittag aus der geschlossenen Psychiatrie, nachdem eine Straf-vollstreckungskammer grünes Licht für Vollzugslockerungen gegeben hatte.

Psychiater hatten Bohlmann bereits in den 70er Jahren eine tiefgreifende Persönlichkeitsstörung attestiert. Er soll Schwäne geköpft und Pferde gequält haben. Nach dem Tod seiner Frau 1977 zerstörte er die Oberflächen diverser Kunstwerke, etwa die des Paul-Klee-Bildes „Der goldene Fisch“in der Hamburger Kunsthalle.

Bohlmann wurde zu fünf Jahren Haft verurteilt. Und zündete nach seiner Entlassung eine Baumaschine an – wieder drei Jahre Gefängnis. Im Hafturlaub übergoß er drei Gemälde von Albrecht Dürer in der Münchner Pinakothek mit Schwefelsäure, der Schaden belief sich auf 70 Millionen Mark. Das Landgericht München verhängte zwei weitere Jahre Haft und ordnete im Januar 1989 die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus an.

„Wir haben gesetzliche Auflagen minutiös eingehalten“, verteidigte gestern der Sprecher des Landesbetriebs Krankenhäuser, Siegmar Eligehausen, den Ärztlichen Direktor Klaus Böhme. Die behandelnden Psychiater hätten die Entscheidung der Strafvollzugskammer für Vollzugslockerung von vornherein kritisiert, so Eligehausen. Der 60jährige Bohlmann hatte nach einigen begleiteten Ausführungen die Erlaubnis erhalten, sich stundenweise allein auf dem Klinikgelände zu bewegen. Von einem solchen Spaziergang war er am Montagnachmittag nicht zurückgekehrt. Seitdem ist er untergetaucht.

„Er hat zu Recht Ausgang erhalten“, sagte gestern die Sprecherin der Justizbehörde, Sabine Westphalen. Die Strafvollstreckungskammer hatte im Februar 1997 nach dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit entschieden, „daß der Verurteilte schrittweise in zunehmenden Lockerungen zu erproben sei“. Je länger jemand einsitzt, desto mehr tritt das Freiheitsrecht des Insassen in den Vordergrund.

Was viele nicht wissen: Hans-Joachim Bohlmann hätte ohnehin irgendwann auf Bewährung entlassen werden müssen – dann jedoch ohne vorhergehende Erprobung. Er war bereits seit März 1990 in der geschlossenen Abteilung. Seit September 1997 war Bohlmann von seinen erlaubten drei Ausflügen pro Woche jeweils zurückgekehrt. „Eine hundertprozentige Sicherheit gibt es bei diesen Entscheidungen nicht“, so Sabine Westphalen.

„Wir glauben nicht, daß er aus Ochsenzoll weggelaufen ist, um auf dem kürzesten Wege hierher zu marschieren“, sagte Helmut Leppien von der Kunsthalle gestern gegenüber der taz. „Wir wollen es dem Täter dennoch nicht leicht machen und haben unsere Wachsamkeit erhöht.“Ansonsten will der stellvertretende Direktor die Sache „so gelassen wie möglich sehen“. Viele wertvolle Gemälde befinden sich inzwischen hinter Glas. Lisa Schönemann

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