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Zum Abschied Amselgesang

Vom Klassiker im Stahlsarg zum Verzagten mit den schweißnassen Händen: Eine Ausstellung in der Berliner Akademie der Künste nähert sich Bertolt Brecht durch die Hintertür in „22 Versuchen“ und rückt das Unfertige, Zerbrechliche, Gescheiterte nach vorn  ■ Von Jörg Magenau

Sonntagmorgen, Sonne, ordnungsgemäßes Glockengebimmel. Herren mit Hüten und dunklen Mänteln, Damen im Pelz und in gedeckten Farben schreiten durchs Hansaviertel. Es könnte ein Kirchgang sein. Doch welche Kirche lockt so viele Menschen an?

Eröffnung der großen Brechtausstellung in der Akademie der Künste. In der ersten Reihe nehmen die Honoratioren Platz, nicken und grüßen verschwenderisch, um nur ja niemanden zu vergessen. Brecht, dessen Bild auf den Bühnenhintergrund projiziert wird, scheint spöttisch zu lächeln und rückt die Brille zurecht, um die Herren besser betrachten zu können: Abgeordnetenhauspräsident Haase, Berlin-Marketing-Chef Hassemer, Momper, der seinen roten Schal in die Manteltasche gesteckt hat, Ex-Bahnchef Dürr, Senatoren, Minister: alle nicht unbedingt Freunde eines marxistischen Dichters mit Stalinpreis.

Staatssekretär von Pufendorf betont „Berlins besondere Verantwortung, dieses Lebenswerk zu würdigen“. Brandenburgs Kulturminister Steffen Reiche gibt in der Rolle des Werkkenners zu bedenken, daß Brecht „in zarten Versen ja auch die brandenburgische Natur besungen“ habe. Na also! Alle sind friedlich und in gesamtdeutscher Feierlaune, so daß Akademie-Präsident György Konrád konstatieren kann: „Das bürgerliche Deutschland feiert einen seiner schärfsten Kritiker, einen aus ihm hervorgegangenen Gegner, den großen Herausforderer, den sarkastischen Frager, der versuchte, seine bürgerliche Existenz abzulegen, was ihm nur zum Teil gelingen konnte, denn zum Lebensende kehrt der Mensch in seinen Träumen und Erinnerungen dorthin zurück, von wo er aufgebrochen ist.“ Das ist tröstlich zu wissen für jeden Bürgersmann, der der Einfachheit halber lieber gleich zeitlebens zu Hause bleibt. Am Ende der Revolte steht doch die Versöhnung. Vielleicht, gibt Konrád zu bedenken, war es nur eine „Verkleidung“, mit der Brecht sich zum Proletarier stilisiert habe. Vielleicht entwarf er sich, wie so viele Söhne von Kaufleuten und Bankiers, eine provozierende Rolle, um als etwas anderes zu scheinen als das, was er war. Und vielleicht verschlang schließlich die Rolle ihren Darsteller. So formuliert, kann auch Herr Haase aus ganzem Herzen applaudieren. So gesehen kann man auch Brechts Marxismus unter „den zahlreichen Erkenntnissen und Irrtümern, die er an unsererer Statt angesammelt hat“, abbuchen und ihm dafür dankbar sein.

Die Verpflichtung zu ätzender Kritik

Denn gegen Kritik als solche hat ein freier Bürger nichts einzuwenden. Im Gegenteil: Hat nicht der Bundespräsident erst kürzlich, aus Anlaß von Heinrich Heines 200. Geburtstag, seiner Sehnsucht nach „ätzender Kritik“ Ausdruck verliehen und die Intellektuellen zu einer härteren Gangart aufgefordert? Und hat Kerstin Hensel sich diese Aufforderung vielleicht so sehr zu Herzen genommen, daß sie in ihrer Rede die Festtagsstimmung gleich mit einer ätzenden Prise Antikapitalismus bereichert? Nie, ruft sie ins Publikum, hätte sie gedacht, Brechts Mahagonny und Chicago tatsächlich einmal zu erleben. Daß es Wirklichkeit sei, und nicht nur Propaganda. Und jetzt stecke sie mittendrin in dieser neuen Vergangenheit.

Brecht also. Im Osten hat man die Monumentalisierung Brechts zum Klassiker im Stahlsarg mehr als hinter sich. Nicht mehr seine gußeisernen Wahrheiten interessieren, nicht mehr seine pädagogischen Belehrungen, sondern das Fragmentarische, Skizzenhafte. Und siehe da, hat er nicht selbst notiert, daß das Eindeutige langweilig ist und Wahrheit wandelbar? Und ist nicht auch diese Einsicht schon längst wieder ritualhaft abgedroschen? Erdmut Wizisla, Leiter des Brechtarchivs, arbeitet mit seiner Ausstellungskonzeption allen Heimholungsversuchen entgegen. „22 Versuche, eine Arbeit zu beschreiben“ lautet vorsichtig handkeesk der Untertitel. Es sollen keine Sichtweisen aufgenötigt, sondern bloß Vorschläge gemacht werden, wie es sich gehört. Man kann sie annehmen oder verwerfen, verfährt also mit dieser Ausstellung am besten so, wie Brecht mit Kunst verfuhr, und hat damit schon etwas gelernt.

Die Ausstellung betritt man über den „Bühneneingang“. So steht es über der Tür. Über eine unrepräsentative Feuertreppe gelangt man hinter eine sogenannte Probebühne. Die Rückseiten von Kulissen sind das erste, was man sieht: sehr programmatisch. Brechts Biographie ist an den Rand gerückt. Die Chronologie der Lebensdaten und eine Fotosammlung schmücken einen langen Flur. Brecht mit Gitarre, Brecht mit Helene Weigel, Brecht zumeist erstaunlich dünn und am Ende schließlich dicklich und verzagt. An diesen Brecht, der über schweißnasse Hände klagte, erinnert sich Stefan Heym in seiner Rede zur Eröffnung. Er war kurz vor Brechts Tod in der Chausseestraße zu Besuch, saß neben Brecht auf einem Sofa und mußte seine Hände befühlen: tatsächlich, schweißnaß. Auch Christoph Hein redet über Brechts Lebensüberdruß, nachdem er im Osten „den stinkenden Atem der Provinz“ zu riechen bekam und im Westen anekelnden Antikommunismus. „Am Ende“, so Hein, „steht der verwundbare, verwundete Mensch vor uns.“ Brecht starb eigentlich an einem Schnupfen. „Er hatte keine Lust mehr.“ Wer hat das gesagt?

In der Ausstellungshalle ist – neben dem originalen Spezereienwagen der Mutter Courage, Bühnenbildentwürfen von Caspar Neher und einem Blick in Brechts Arbeitszimmer – vor allem eine unüberschaubare Menge asketischer Arbeitstische zu sehen. Man muß – so ist das in Literaturausstellungen nun mal – sich einen Weg durch die Vitrinen suchen, sich über die Tische beugen, angestrengt durch spiegelndes Glas spähen und vor allem: lesen. Brechts Bibellektüre, Brecht und die bildende Kunst, Brecht und die Rechtschreibreform oder Brecht und der Stalinismus: Die Annäherungen sind vielfältig. Wie der Flaneur beim Schaufensterbummel die Warenwelt, so betrachtet man Materialisierungen des Denkens und Arbeitens: Einblicke, Einsichten, Details. Im Computerzeitalter wird es solche Ausstellungen nicht mehr geben, mit Manuskripten, die Spuren der Arbeit enthalten, und wo der Prozeß des Werdens der Beachtung wert ist. Für Brecht war klar: Alles braucht Veränderung, auch die eigenen Texte.

Wer plagiiert, ist weniger allein

Weniger als ein Prozent des Brecht-Nachlasses, den das Land Berlin 1992 kaufte, ist ausgestellt. „Schmerzhafte Beschränkung“ war dazu nötig, so Erdmut Wizisla. Doch auch so wird ein beeindruckender Fleiß kenntlich, ein lebenslängliches Studieren, eine nie versiegende Lust an der Arbeit und die Freude an der Präzision gelungener Formulierungen. Einiges war bisher noch nicht zu sehen und zu lesen: Ein Medea-Fragment etwa, die Skizze zu einem Einstein- Drama aus den 50er Jahren oder der Entwurf einer Oper über die „Judenhure Marie Sanders“.

Ohne auf die Thesen des amerikanischen Brecht-Forschers John Fuegi direkt einzugehen – Brecht habe mehr Verträge geschrieben als Werke und die Mehrzahl seiner Texte stamme in Wirklichkeit von seinen Mitarbeiterinnen – kann nun am Material überprüft werden, welche Texte Brecht selbst getippt hat, was Hauptmann, Steffin oder Berlau für ihn schrieben, und was Brecht für sie. Damit wird der stupiden Debatte ziemlich elegant der Boden entzogen. Brechts Theorie, daß auch Plagiieren eine Kunst sei, wird in einem eigenen Kapitel behandelt. In einem Manuskript Brechts aus dem Jahr 1938 heißt es da: „ein wenig borgen bei einem oder einigen andern zeigt bescheidenheit; welch eine ungeselligkeit, sich ganz allein vorwärts bewegen zu wollen!“

Ausgangspunkte der einzelnen Kapitel sind immer wieder Exponate aus Brechts Bibliothek, die erkennen lassen, wie er damit arbeitete. So schrieb er auf das zerlesene Exemplar von Trotzkis „Geschichte der russischen Revolution“: „in historischer perspektive gesehen, erscheint die Oktoberrevolution als weit mehr geplant, als sie in wirklichkeit war. in wirklichkeit schwankte man, suchte nach etwaigen auswegen und faßte impulsive beschlüsse, die zu nichts führten. Trotzki.“

In den 30er Jahren hielt Brecht Trotzki für den größten lebenden Schriftsteller. Und doch hielt er zugleich verzweifelt am Glauben an die Sowjetunion fest. Niederschmetternd sind seine Versuche, sich die Moskauer Prozesse rationalisierend so zurecht zulegen, daß sie einen Sinn ergeben können. In einem zweiseitigen Typoskript schreibt er: „einzugehen auf die frage, ob sich die sowjetunion in ihrer jetzigen lage imstande sieht, bei der aufdeckung und diffamierung lebensgefährlicher verschwörungen mit konterrevolutionärer tendenz den forderungen des bürgerlichen humanismus nachzukommen, ist da ganz müßig.“ Brecht spricht in diesem Zusammenhang von „konterrevolutionärem Humanismus“, und die Einschränkung, die er am Ende seiner Überlegungen dann doch vornimmt, liest sich nicht weniger schrecklich: „damit soll nicht der physischen folterung das wort geredet werden“. Doch zur selben Zeit notierte er im Buch Me-Ti über die Widersprüche in der SU: „Das Brot wird mit solcher Wucht ins Volk geworfen, daß es viele erschlägt.“

Es sind solche Widersprüche, die die Ausstellung herausarbeitet und unkommentiert aufeinanderprallen läßt. Wenn sie überhaupt ein Brecht-Bild kenntlich machen will, dann ist es eines der Vielfalt, ein Brecht jenseits der Schulbücher und staatlicher Indienstnahme. Es ist der Brecht mit den schweißnassen Händen, der Brecht des produktiven Zweifels, der doch an entscheidenden Punkten seiner Biographie zuwenig zweifelte. Es sind die Töne der Resignation und des Scheiterns, die ihn heute lebendiger erscheinen lassen als damals, als er noch ein Klassiker sein mußte. So rückt ein zerbrechlicher Vers, kurz vor seinem Tod in der Charité mit Bleistift auf einen kleinen Zettel notiert, von der Peripherie ins Zentrum der Aufmerksamkeit: „als ich in weissem krankenzimmer der charité / aufwachte gegen morgen zu / und eine amsel hörte, wusste ich / es besser. Schon seit geraumer zeit / hatte ich keine todesfurcht mehr, da ja nichts / mir je fehlen kann, vorausgesetzt / ich selber fehle. Jetzt / gelang es mir, mich zu freuen / alles amselgesanges nach mir auch.“

Akademie der Künste, bis 29. März. Der Katalog, herausgegeben von Erdmut Wizisla, hat 200 Seiten und kostet 25 DM

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