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Die Geschichte ist nicht zu Ende

■ Das Museum der Arbeit internationalisiert sein Blickfeld mit Fotos von Sebastião Salgado und Raphael Bolius

Ländereien bis zur Größe deutscher Bundesstaaten sind in der Hand einzelner Besitzer, aber 4,8 Millionen Bauernfamilien suchen in Brasilien Land – Land, das die Großgrundbesitzer mit großzügiger Rechtsauslegung und Privatarmeen verteidigen. Gegen die Versuche der Landlosenbewegung MST (Movimento dos Sem Terra), die immer wieder angekündigten staatlichen Ansiedlungsprogramme einzufordern, wird scharf geschossen: In Eldorado dos Carajas gab es im April 1996 neunzehn Tote. Die sozialen Auseinandersetzungen im kontinentgroßen, reichen und traumhaft schönen Brasilien haben genau betrachtet Bürgerkriegscharakter.

Mit zwei Fotoausstellungen und zahlreichen Veranstaltungen macht das Museum der Arbeit auf die Probleme aufmerksam, die nicht mehr so fern und exotisch sind, bedenkt man die enge Vernetzung des Exporthandels, an dem auch Hamburger Kaufleute verdienen. Für das Museum ist die Ausstellungszusammenarbeit mit der „CulturCooperation“und der hiesigen „Brasiliengruppe“ein Schritt zur Internationalisierung seines Blickfeldes. Zusätzlich zum politisch-ökonomischen Kontext werden die einfühlsamen Fotos von Sebastião Salgado im Original gezeigt.

Der 54jährige Mitbegründer der berühmten Pariser Agentur Magnum ist ein hochgeschätzter und meisterhafter Fotograf. Als gebürtiger Brasilianer engagiert er sich weit über das in seinem Beruf Übliche: Durch die Abtretung der Bildrechte und den Verkauf der normalerweise in Posterform gezeigten Bildern der Ausstellung sind schon ca. 1,5 Mio. Dollar zugunsten von MST aufgebracht worden.

Es ist sicher nicht politisch korrekt, kritische Anmerkungen zu machen, doch der Meister hat einen Hang zur Heroisierung, die über Dokumentation hinausgeht. Selbst beste Bilder stoßen auf die Grenzen ihrer Aussagemöglichkeit, wenn es um komplexe politische Wertungen geht. Wenn zur Bildunterschrift „Familie, die Land zugeteilt bekam“eine proppere fünfköpfige Familie am hochglanzpolierten Ofen posiert, ist dies so zusammenhanglos künstlich wie in einem Bildband über den glorreichen Aufbau der Sowjetunion. Elend in den Städten, Favelas, selbstorganisierte Schule: Erst durch den Kontext der Ausstellung wird eine komplexe, fast filmische Dramaturgie aufgebaut. Salgado versäumt auch nicht, mit einigen Bildern von Yanomanis darauf zu verweisen, wem das Land eigentlich zusteht.

Die Bilder Salgados ergreifen: Man kann sich nur mitfühlend engagieren oder zynisch werden. Denn die Geschichte ist eben nicht zu Ende, wenn 12.000 Menschen jubelnd eine 83.000 Hektar große Farm besetzen. Sollten sie jemals die Besitztitel erhalten, kann es gut sein, daß sie, inzwischen überschuldet, das Land wieder verkaufen – über die Banken an die großen Agrarkonzerne, die dann schädliche Monokulturen einrichten. Diese erneute „Landnahme“ist Thema des zweiten Teils der Ausstellung, in dem Raphael Bolius die zerstörerischen Folgen der riesigen Eukalyptuswälder aufzeigt, deren industriell erzeugte Zellulose zu 90 Prozent in den Export in die USA, nach Japan und Europa geht. Schnellwachsend, aber den Boden auf Dauer veröddend, sind die aus Australien importierten Bäume ein weiterer Schritt zur Verwüstung des einst blühenden Landes freier Indianer. Hajo Schiff

Austellung: Museum der Arbeit, bis 29. März; Fotobuch „Terra“, Duotone (Paperback), Verlag 2001, 144 Seiten, 49 Mark

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