piwik no script img

Zwölf Jahre Macht. Das macht müde.

Eberhard Diepgen, Regierungschef und CDU-Vorsitzender Berlins, wird von der Parteirechten attackiert. Auf dem nächsten Parteitag kann er sich noch einmal durchsetzen. Zum letzten Mal?  ■ Aus Berlin Barbara Junge

Ich gehe davon aus, daß es zu Eberhard Diepgen keinen Gegenkandidaten geben wird“, erklärte Klaus Landowsky vor drei Wochen eher beiläufig. Und wovon Landowsky, der starke Mann der CDU, ausgeht, ist in der Hauptstadt schon fast so etwas wie Gesetz. Noch jedenfalls.

Das paßt aber nicht mal mehr allen Christdemokraten. Vor dem morgigen Parteitag der Berliner CDU, auf dem turnusgemäß der Landesvorsitzende und sein Vorstand gewählt werden, probt eine Garde rebellischer Christdemokraten den Aufstand, wenn auch einen sehr gemäßigten. Schon vor Monaten hat der rechte Flügel der Partei, organisiert im Arbeitskreis „Union 2000“, am Stuhl des Regierenden Bürgermeisters Eberhard Diepgen zu sägen begonnen. Diepgen, der gleichzeitig Landesvorsitzender der CDU ist, gilt seinen Opponenten als zu blaß, zu moderat. Er habe, kritisieren sie, der in der Großen Koalition mitregierenden SPD nichts entgegenzusetzen. Ihre Forderung lautete vor Wochen noch: Diepgen soll den CDU-Vorsitz abgeben und sich aufs Amt des Regierenden Bürgermeisters konzentrieren. Doch daraus wird wieder mal nichts. Auf dem Parteitag am Wochenende tritt keiner gegen Diepgen an. Landowsky sei Dank.

Nach seiner Bemerkung mit dem nicht vorhandenen Gegenkandidaten schäumte der zweite starke Mann der CDU, Innensenator Jörg Schönbohm, so etwas wie der Shooting Star der Berliner Christdemokraten. Landowsky, Fraktionschef der CDU im Preußischen Landtag und seit langem Strippenzieher in Berliner Regierung, Parlament und öffentlichen Institutionen, hatte an jenem gemütlichen Abend nämlich noch mehr ausgeplaudert. Er weihte die interessierte Zuhörerschaft ein, wer als Stellvertreter Diepgens in den Landesvorstand einziehen könnte: Innensenator Jörg Schönbohm. Dieser weigerte sich erst, wandt sich, zierte sich – doch einen Ausweg fand der Ex-General nicht. Bei einer Absage hätte er zum ersten Mal deutlich gemacht, daß er sich vorstellen könnte, Diepgen abzulösen. Bei einer Zusage wäre er viel stärker in die Partei eingebunden und würde an Einfluß verlieren. Nach einer Woche Bedenkzeit ergab sich Schönbohm in sein Schicksal und gab bekannt: „Ich kandidiere.“

Die Hoffnung der Rebellen auf einen schnellen Machtwechsel war dahin. In dem forschen Innenpolitiker hatte die Rechten von „Union 2000“ ihre Projektionsfläche für eine veränderte, moderne Hauptstadtpartei gefunden. Für eine stramm konservative Partei, die sich von der liberalen Großstadtpartei des früheren Regierenden Bürgermeisters Richard von Weizsäcker verabschiedet. Dort, wo der von jeher blasse, doch liberale Großstadtpolitiker Diepgen Zurückhaltung übt – beispielsweise bei der Abschiebung bosnischer Kriegsflüchtlinge –, propagiert der ehemalige Bundeswehrgeneral Schönbohm einfache, populistische Lösungen. Dort, wo der politisch schwer einzuordnende Landeschef abwägt – bei der Diskussion um die New Yorker Polizeistrategie der „Null Toleranz“ etwa –, gewinnt sein Innensenator die Lufthoheit über den Stammtischen.

Landowsky hat mit seinem freundlichen Angebot an Schönbohm nicht nur dessen heimliche Gelüste nach dem Vorsitz brüskiert. Seine Nachricht ist vor allem bei den Rechten vom Kreis „Union 2000“ klar und deutlich angekommen: Noch hat in der Berliner CDU Klaus Landowsky das Sagen. Und solange Landowsky zu Diepgen hält, bleibt der weiter Regierungschef. Das ist jetzt seit zwölf Jahren schon so.

Doch dieses unschlagbare alte Westberliner Gespann verliert langsam den Boden unter den Füßen. Im Regierungsalltag steht den Christdemokraten mit Annette Fugmann-Heesing eine Finanzsenatorin gegenüber, die die Geschicke der Stadt mehr und mehr zu lenken beginnt. Die Stadt wird immer weniger von der alten Frontstadtmentalität geprägt. Zudem murren in der eigenen Partei die Mitglieder aus den östlichen Bezirken gegen die Westdominanz, gegen die Erstarrung der Verhältnisse. Eineinhalb Jahre vor den Neuwahlen zum Berliner Parlament befürchten einflußreiche Kreise der Partei, daß die Union in eine politische Zwickmühle gerät: Die FDP ist aus dem politischen Alltag der Stadt nahezu verschwunden, nach sechs Jahren hat die Große Koalition in Berlin ihre Kraft und Ausstrahlung vollends verspielt. Und neue Bündnispartner stehen nur rechts der Union bereit.

„Union 2000“ setzt auf den rechten Wähler. „Die Berliner Unionsführung muß endlich begreifen“, formuliert der Kulturpolitiker Uwe Lehmann-Brauns, einer aus der alten Westberliner Garde, „daß sie auch eine konservative Klientel hat.“ „Führung ist gefordert“, mahnt der Parteirechte Dieter Hapel. Das alles soll heißen: Diepgen ist nicht der richtige Mann. Als Regierungschef einer Großen Koalition sei er nicht glaubhaft, er vertrete nur Kompromisse statt christdemokratische Politik. „Ich würde mir an Diepgens Stelle überlegen“, hatte der Berliner CDU-Bundestagsabgeordnete Diethard Schütze schon vor Monaten offen ausgesprochen, „wen ich mir für den Posten des Landesvorsitzenden suche, damit das Erscheinungsbild der CDU besser wird.“ Im Klartext: Diepgen soll als Landesvorsitzender zurücktreten.

Der Regierende Bürgermeister kämpft. Er tritt nicht zurück. Doch im Vorfeld des Parteitages zeigt sich, daß die Führung ihre Partei nicht mehr unter Kontrolle hat. Längst ist der Kampf gegen Diepgen zu einem anhaltenden Kräftemessen der verschiedenen politischen Gruppierungen in der CDU geworden. Wenn morgen die Stellvertreter Diepgens im Landesvorstand gewählt werden, präsentiert das für die Vorbereitung zuständige Gremium nach wochenlangem Gezerre einen Vorschlag, der sich wie eine Wunschliste des Arbeitskreises „Union 2000“ liest. Fünf von sieben vorgeschlagenen Stellvertretern tauchen bei „Union 2000“ mehr oder weniger regelmäßig auf oder stehen deutlich rechts der Mitte. Sollte dieser Vorschlag morgen tatsächlich so abgestimmt werden, dann wäre der Preis dafür, Diepgen zu halten, hoch: ein fast komplett rechter Parteivorstand.

Der Kampf um die Zukunft der Berliner CDU geht weiter. Das hat Schönbohm, die Hoffnung der Konservativen, mit einer vor dem Parteitag unerwarteten Ankündigung bereits signalisiert. Er werde für die Parlamentswahlen 1999 als Spitzenkandidat zur Verfügung stehen. Dabei war bisher unumstritten, wer der Spitzenkandidat 1999 sein sollte: Eberhard Diepgen. Aber wie sagte Lehmann- Brauns mit Blick auf Schönbohm so schön: „Das Leben ist als Vizevorsitzender nicht zu Ende.“

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen