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Nordsee bald krabbenfrei

■ Die norwegische Firma Statoil muß ihre Europipe–Gasleitungen spülen / Zuviel Gift für das Watt, sagen ostfriesische Küstenfischer / Kampfgas Phosgen kann sich bilden, meint der WWF

Fischer und Naturschützer fürchten um das ostfriesische Wattenmeer und um Krabben und Jungfischbestände: 820.000 Kubikmeter chemisch verunreinigtes Seewasser, dazu große Mengen Kalk, sollen im März 1999 durch eine Erdgasleitung von Norwegen nach Baltrum gejagt werden. Die Genehmigung durch die Bezirksregierung Weser–Ems liegt bereits vor. Der WWF–Bremen warnt vor unkalkulierbaren chemischen Reaktionen, bei denen im schlimmsten Fall Chloroform und das Kampfgas Phosgen freigesetzt werden könnten.

Die norwegische Firma Statoil baut nach der Europipe 1 jetzt die 670 km lange Europipe 2 für Erdgas. Um zu prüfen, ob die Gasleitung wirklich dicht ist, muß sie einem Drucktest unterzogen werden. Zu diesem Zweck wird Seewasser in das Rohr gepresst. Damit die Eisenteile nicht rosten oder sich Algen an den Wänden festsetzen, wird das Seewasser mit Chemikalien versetzt. Danach muß sie gespült werden. Das Spülwasser wird ins Wattenmeer gepumpt.

„Völlig unbedenklich“, sagt ein Sprecher von Statoil. „Wir setzen nur Substanzen zu, die ohnehin im Meerwasser vorkommen. Unser Verfahren hat firmenintern den Umweltpreis gewonnen.“Die Mischung der Chemikalien bringt den Sauerstoffgehalt des Wassers gegen Null (Rostschutz) und erhöht den ph–Wert (gegen Algenbewuchs). Bei dem neuen Verfahren fällt Kalk an, der das Wasser in ein trübes Weiß einfärben wird. Über zwei Wochen, Tag und Nacht, will Statoil die Europipe 2 waschen. Schon bei der Prüfung der Europipe 1 spülte Statoil ein extrem giftiges Antibewuchsmittel vor Norwegen in die See.

Bei Dirk Sander, Sprecher der ostfriesischen Küstenfischer, leuchten alle Signalbojen alarmrot: „Das Wasser aus den Rohren ist ohne Sauerstoff. Alle Lebewesen im Ausspülbereich sterben ab, darunter auch die Jungfischbrut. Die sichern uns aber unseren Lebensunterhalt.“Sander und seine ostfriesischen Kollegen gehen auf Krabbenfang, später schlüpfen ihnen Schollen und Seezungen ins Netz. „Wenn's wirklich darauf ankommt, dann helfen uns holländische, dänische und holsteinische Kutter, insgesamt 109 Schiffe, damit machen wir im Sommer die Häfen dicht.“Für die Zeit des Baues der Europipes haben die Fischer 4,5 Millionen Mark als Entschädigung erhalten. „Wir haben das so gesehen, wir verpachten Statoil unsere Fanggebiete, dafür erhalten wir Miete. Für Umweltverschmutzung wollen wir uns aber nicht entschädigen lassen“.

Die Befürchtungen von Christian Dorrien vom WWF–Bremen gehen einen Schritt weiter. Die chemische Reaktion, die stattfindet, wenn das Spülwasser mit Meerwasser in Kontakt kommt, könnten Chloroform entstehen lassen. „Unter Lichteinstrahlung ist es sogar möglich, daß sich Phosgen bildet“, meint Dorrien. Phosgen ist ein Kampfmittel und Nervengas. Wer damit in Berührung kommt, stirbt. „Unsere Chemiker haben das nicht bestätigt“, hält Herma Heyken, Pressesprecherin der Bezirksregierung, dagegen.

Bernd Theilen, Regierungspräsident des Bezirkes Weser–Ems bleibt gelassen: „Wir haben die Genehmigung an ein beobachtendes Begleitprogramm gekoppelt, daß die Ausspülung kontrolliert. Wenn es zu Schäden kommt, stoppen wir notfalls den Wasserausfluß.“Was Theilen unter einem Schaden versteht, sagt er allerdings nicht.

Thomas Schumacher

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