: Vereinigung der Armenhäuser
■ Bündnisgrüne Bürgermeister befürchten Zunahme der sozialen Probleme durch die Bezirksreform. CDU-Führungsgremien zufrieden
Die bündnisgrünen Bezirksbürgermeister Jörn Jensen (Tiergarten) und Franz Schulz (Kreuzberg) befürchten die Verschärfung der sozialen Konflikte im Zusammenhang mit der Bezirksreform. Wenn Tiergarten und Wedding, wo jeweils viele arme und arbeitlose Menschen leben, nach den Plänen von CDU und SPD zusammengelegt würden, drohte das vereinigte Armenhaus noch weiter abzusinken, meint Jensen. Ähnlich sieht es Kollege Schulz, dessen Bezirk mit Friedrichshain verschmolzen werden soll.
Kreuzberg steht auf dem 23. und letzten Platz des Berliner Sozialindex, Friedrichshain nimmt die 20. Position ein. Der Index beschreibt die Situation im Hinblick auf sozialen und materiellen Wohlstand. Tiergarten und Wedding rangieren an 22. und 21. Stelle. An der möglichen Zuspitzung der Krise im neuen Regierungsbezirk ändere sich auch dadurch nicht viel, daß die beiden Stadtteile mit dem heutigen Mitte fusioniert würden, urteilt Jörn Jensen. Nämlich auch Mitte (heute noch Platz 14) sei abstiegsgefährdet. Jensen sieht als Gefahr, daß durch die höhere Zahl von SozialhilfeempfängerInnen und Arbeitslosen „der Problemdruck“ im neuen Großbezirk anwachse.
Die SozialarbeiterInnen im gemeinsamen Amt würden sich zum Beispiel im jeweils anderen Stadtteil kaum auskennen und könnten die Klienten deshalb nicht so gut beraten wie zuvor. Für eine sinnvolle Sozialarbeit seien persönliche Ortskenntnis und Beziehungen äußerst wichtig. „Und wenn dann noch Personal gestrichen würde, um Kosten zu sparen, wäre das eine Katastrophe“, erklärt Bürgermeister Jensen.
Tiergartens Sozialamt ist heute für 74.000 Menschen zuständig – im neuen Bezirk kämen fast 300.000 EinwohnerInnen auf eine Behörde. Während Kreuzberg und Friedrichshain mit jeweils etwa 130.000 BewohnerInnen über eigene Ämter verfügen, müßten sich in Zukunft die 260.000 Menschen mit einer großen Verwaltung begnügen. Kreuzbergs Bezirkschef Schulz nennt ein weiteres Argument: Schon heute versuchten die reichen Stadtteile wie Zehlendorf und Reinickendorf die ärmeren im Rat der Bürgermeister zu übervorteilen, indem sie nicht genug Geld für den Finanzausgleich zwischen den Bezirken bereitstellten. Durch die Zusammenlegung der Armenhäuser nähmen deren Stimmenzahl und damit auch ihr Gewicht im Bürgermeistergremium ab, so Schulz.
Besser wäre es gewesen, wohlhabende mit armen Bezirken zu koppeln oder aber die alten Grenzen zugunsten einer völligen Neuordnung im Einklang mit sozialen Kritierien gleich ganz aufzugeben. Währenddessen haben die Führungsgremien der CDU die Bezirksreform gebilligt. Auf einer Sitzung des Landes- und des Fraktionsvorstandes habe es „breite Zustimmung gegeben“, teilte CDU-Generalsekretär Volker Liepelt mit. Nach monatelangem Streit hatten sich CDU und SPD am Donnerstag geeinigt, die Zahl der Bezirke von dreiundzwanzig auf zwölf zu reduzieren. Hannes Koch
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