piwik no script img

AnalyseFilz mit Flügeln

■ Hamburgs Sozialdemokratie hat keine Krise, sie ist die Krise

Die Hamburger SPD ist, anderslautenden Gerüchten zum Trotz, keineswegs in einer Krise. Sie ist die Krise, und der Rücktritt von Sozialsenatorin Helgrit Fischer-Menzel am Sonntag ist dafür nur ein weiterer Beleg. In 41 Jahren ununterbrochener Regentschaft ist die Sozialdemokratie zum Staat im Stadtstaat geworden. Regiert wurde in den vergangenen 15 Jahren nach dem Strickmuster der drei mächtigsten Kreisfürsten Henning Voscherau, Eugen Wagner und Jan Ehlers: zwei rechts, eins links und manchmal einen fallenlassen. Dabei lassen die Genossen auch mal einen über die Klinge springen, der als allmächtig galt.

Im September trat Bürgermeister Henning Voscherau nach dem schlechtesten Wahlergebnis aller Zeiten für Hamburgs SPD zurück; nun darf er nicht einmal im Bundestag sein Gnadenbrot verzehren. Der nunmehrige Alleinherrscher auf dem rechten Flügel, Bausenator Eugen Wagner, senkte den Daumen über den langjährigen Weggefährten zugunsten seines politischen Ziehsohnes Johannes Kahrs. Der darf nun im Herbst nach Bonn. Schade eigentlich um seinen 100.000-Mark-Job, den er gerade im städtischen Wohnungsbaukonzern „Saga“ bekam, dessen Aufsichtsratschef zufällig Wagner ist.

Hamburgs Filzhochburg sind der Bezirk Nord und die Arbeits- und Sozialbehörde. Der Moloch mit mehr als 3.400 MitarbeiterInnen gilt seit der Senatorenschaft der linken Partei-Eminenz Jan Ehlers (1978–1988) als Erbhof des linken Flügels. In der Behördenkantine, so wird gewitzelt, könne jederzeit zwischen Hauptgericht und Dessert eine Kreisdelegiertenversammlung der Nord-SPD abgehalten werden. Ehlers' Nachfolger als Senator war der nordlinke Ortwin Runde, der es inzwischen bis zum Chefsessel im Rathaus brachte. Ihm folgte als Senatorin die langjährige Chefin der Nord-SPD, eben Helgrit Fischer-Menzel, die nun über einen Millionenauftrag an eine behördennahe Stiftung stolperte, deren Geschäftsführer zufällig ihr Gatte ist.

Der Parlamentarische Untersuchungsausschuß (PUA), den CDU und GAL jetzt unisono fordern, wird den Filz der Flügel kaum ernsthaft gefährden können. Die Genossen an der Elbe haben langjährige Erfahrung mit parlamentarischen Kontrollgremien. Schon in den PUAs zu den Verstrickungen führender Genossen in die Pleite des gewerkschaftlichen Wohnungskonzerns „Neue Heimat“ und in die Millionendefizite des städtischen Immobilien-Moguls „Saga“ wurde das verwickelte Beziehungsgeflecht nur notdürftig gelichtet. Da waren Akten plötzlich unauffindbar, Zechkumpane wurden zu unbekannten Personen, und der Datenschutz avancierte zum sozialdemokratischen Allerheiligsten. Es wird diesmal ähnlich sein. Sven-Michael Veit

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen