: Stark wie noch nie
■ Prozess gegen Polizisten wegen Körperverletzung im Amt begann gestern vor dem Bremer Amtsgericht
Silvester 1995/96 an der Sielwallkreuzung. Nach den Unruhen der vergangenen Jahre hatte Innensenator Ralph Borttscheller dieses Mal hochgerüstet. Mit über 350 Polizisten, mit BGS-Trupps und schnellen Greiftrupps in den Nebenstraßen.
Einer von ihnen stand gestern vor Gericht, der Bremer Polizeibeamte Walter K. Die Anzeige von Staats wegen lautet Körperverletzung im AmDst. Hat Walter K. das Vorhaben seines Innensenators, in dieser Silvesternacht „so stark wie noch nie“im Viertel präsent zu sein, etwa wörtlich genommen? „Er drehte den Schlagstock voll um und rammte ihn mir in den Magen“, so gestern Nebenklägerin Gül A.
Eigentlich habe sie damals unten auf der Sielwallkreuzung nur noch ein bißchen feiern wollen, erzählt die heute 29jährige. Mit ihrem Mann und ein paar Freunden den Feuerwerkern zugucken, Sekt trinken – sie wohne da ja direkt um die Ecke. Eine uralte Schulfreundin habe sie wiedergetroffen, gequatscht. Eine Polizistin sprach sie von hinten an – „Würden Sie bitte weggehen“–, sie habe die Aufforderung aber nicht gleich verstanden. Und auch nicht gesehen, daß sich hinter ihr eine Polizeikette gebildet habe. In dem Moment sei Walter K. angelaufen gekommen: „Wenn ich sage: Verschwinde!, dann verschwinden Sie!“. Und ohne weitere Warnung habe er dann mit dem Schlagstock zugestoßen.
Walter K. bestreitet das. Er habe die türkische Hausfrau nur mit dem Bauch weggeschoben, sagt er heute. Und auch sein Kollege, der direkt neben ihm stand, spricht nur von Körperkontakt. Vor einem Jahr aber, bei der ersten Vernehmung, hatte er noch einen gezogenen Schlagstock bei Walter K. gesehen.
Gül A. erzählt von starken Bauchschmerzen am folgenden Tag. Eine ärztliche Untersuchung am Nachmittag des Neujahrstages ergibt ein Bauchtrauma, Darmgeräusche, „keine freie Flüssigkeit“.
Schon zweimal vorher war die Mutter von drei Kindern an diesem Abend mit der Polizei in Kontakt getreten, hatte Fürsprache für zwei festgenommene Jugendliche eingelegt und einen Verletzten zu einem Einsatzwagen begleitet. Akribisch fragte der Verteidiger des Angeklagten, Rogalla, diesen Ereignissen hinterher. Diese aber spielten eigentlich keine Rolle für den Fall, so leicht unwirsch Richter Kornblum. Und auch die Frage, ob sich Gül A. auf eine längere Diskussion mit der Beamtin in der Polizeikette eingelassen hat, blieb gestern unklar. Der Prozeß wird am 19. März im Amtsgericht fortgesetzt. ritz
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