: Arrangement mit Hitler zum beiderseitigen Vorteil
■ Bis in die jüngste Vergangenheit hielten die Päpste an ihrem Dogma fest, wonach Juden „Christusmörder“ seien und ausgegrenzt gehörten. Papst Pius XII. widersprach den Nazis kaum
Kurz nachdem David Ben Gurion am 14. Mai 1948 die Gründung Israels bekanntgegeben hatte, ging beim Obersten Gericht des jungen Staates ein merkwürdiges Schreiben ein. Inhalt: die Wiederaufnahme eines Strafverfahrens. Das Aktenzeichen des Schauprozesses war unbekannt, das einstige Verhandlungsdatum strittig. Nur das martialische Urteil und die schriftlich fixierten Aussagen von vier Kronzeugen standen fest.
Es ging, längst haben wir es erraten, um den Prozeß Jesu, der um das Jahr 40 zur Zeit des römischen Statthalters Pontius Pilatus in Jerusalem verhandelt wurde und von den vier Evangelisten im Neuen Testament niedergelegt wurde. Das angerufene Gericht lehnte ab, erklärte das Ansinnen für unzulässig. Jesus, so die Entgegnung, sei von der römischen Besatzungsmacht in einem Schnellverfahren verurteilt worden und nicht vom Synedrium, dem Hohen Rat der Juden. Zuständig sei folglich ein Gerichtshof der Rechtsnachfolger des Römischen Reiches, ein italienisches Gericht also.
Die Revisionsforderung der christlichen Theologen nach fast 2.000 Jahren mag absurd erscheinen. Und doch steht sie für ein Dogma, das die katholische Kirche und ihr Verhältnis zum Judentum von Anfang an geprägt hat: Die Juden haben ihren eigenen Messias verleugnet, verhöhnt, ermordet. Sie waren gegen Jesus, hartnäckig und verstockt, eben weil sie Juden waren – und damit gewissermaßen Antichristen von Geburt und aus Prinzip. An diesem Glaubensaxiom hielten alle Päpste fest. Bis in die jüngste Vergangenheit.
Thomas von Aquin und Martin Luther – er forderte Arbeitslager für Juden – machten aus ihrer Ablehnung der Juden keinen Hehl. In seiner Bulle „Cum nimis absurdum“ von 1555 nannte Papst Paul IV. die „Christusmörder“ von Natur aus „Sklaven“, sie mußten spitze gelbe Hüte tragen und wurden im vatikanischen Kirchenstaat zum ersten Mal in ein besonderes Wohngebiet gezwungen: das „Ghetto“, benannt nach einer venezianischen Gießerei. Erst als 1870 italienische Truppen Rom einnahmen und den Kirchenstaat zerschlugen, erhielten Italiens Juden die grundlegenden Bürgerrechte, die ihnen Päpste und katholische Kirche starrsinnig verweigert hatten.
Anfang des Jahrhunderts wandte sich der Wiener Theodor Herzl, Gründer der zionistischen Bewegung, die für eine Nationalheimat der verstreuten Juden im britischen Mandatsgebiet Palästina kämpfte, an Pius X. um Hilfe beim Aufbau eines jüdischen Staates. Die Antwort des katholischen Oberhirten war unwirsch, ihr Ton gehässig. Als Stellvertreter Gottes und irdischer Sachwalter Jesu sehe er sich außerstande, ausgerechnet jene anzuerkennen, die einst Christus gegeißelt und ans Kreuz geschlagen hätten.
Bis zur Machtübernahme lehnte die katholische Kirche die Politik der Nazis vehement ab. Doch dann arrangierten sich Papst und Hitler. Eugenio Pacelli, er war bis 1929 Päpstlicher Nuntius in Berlin, unterzeichnete am 20. Juli 1933 den Staatsvertrag zwischen Deutschland und dem Vatikan. Zum beiderseitigen Vorteil. Das Konkordat verschaffte den Nazis Renommee, und der Kirche sicherte es ihre Selbständigkeit. Im März 1939 wurde Pacelli selbst zum Papst gewählt. Die noch von seinem Vorgänger verfaßte Enzyklika „Die Einheit des Menschengeschlechts“, die sich gegen den Rassenhaß der Nazis richtete, veröffentlichte Pius XII. nie.
Hitler glaubte sich einig mit dem Heiligen Stuhl in seiner „Sonderbehandlung“ der Israeliten. „Wir“, schrieb er in einer Botschaft an Papst Pius XII., „setzen fort das Werk der Katholischen Kirche.“ Der Papst widersprach nicht. „Vergessen Sie nicht“, rechtfertigte er sich 1943 im L'Osservatore Romano, „daß Millionen von Katholiken in den deutschen Armeen dienen. Soll ich sie in Konflikte stürzen?“ Pius XII. schwieg. Auch nach dem 8. Mai 1945. Selbstverständlich war Hitler kein bekennender Katholik, der Holocaust keine Vollstreckung päpstlichen Willens. Der nazistische Massenmord, sagt Hans Küng, war das Werk gottloser Verbrecher. „Aber ohne die fast 2.000jährige Vorgeschichte des christlichen Antijudaismus“, so der Theologe, dem im Dezember 1979 wegen ketzerischer Glaubensauslegung die vatikanische Lehrerlaubnis entzogen wurde, „wäre er unmöglich gewesen.“ Walter Saller
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