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Waigel auf Thatchers Spuren

Der Bundesfinanzminister will nicht mehr an die EU zahlen als bisher. Waigel hat den Widerstand organisiert: Österreich, Schweden und die Niederlande unterstützen ihn  ■ Aus York Alois Berger

Der Empfang war eher unfreundlich. Am Himmel kreisten Flugzeuge mit Transparenten: „Der Euro bringt Unheil.“ Unten, vor der altehrwürdigen Town Hall von York, wurden die Finanzminister von einigen hundert Demonstranten lautstark empfangen. Dem Bonner Staatssekretär Jürgen Stark segelte sogar eine Pappschachtel an den Kopf. Doch dann trat eine Frau aus dem Volk auf den deutschen Finanzminister zu und umarmte ihn, was die verblüffte Menge zum Schweigen brachte. Wie sich später herausstellte, handelte es sich um Waigels Ehefrau. Aber da war der Bundesfinanzminister längst bei seinem nächsten Auftritt.

Im Kreis der EU-Finanzminister reichte Waigel eine Statistik herum, die wieder betretenes Schweigen auslöste. Knapp 22 Milliarden Mark hat Deutschland 1996 mehr in die EU-Kasse eingezahlt, als von dort zurückgeflossen sind. Die anderen sechs Nettozahler kommen zusammen gerade einmal auf 15 Milliarden. „Das muß sich ändern“, sagte Waigel. Dieses Spiel gehört mittlerweile schon fast zum Standardprogramm von EU- Treffen. Doch diesmal war es besser vorbereitet. Bonn hat sich für die Umverteilung der Finanzlasten in der EU Verbündete gesucht. Der Luxemburger Premier Jean- Claude Juncker äußert schon seit einiger Zeit Verständnis für die deutsche Forderung. Das Ungleichgewicht sei nicht gesund für die EU. Die Finanzminister aus Österreich, Schweden und den Niederlanden haben in den letzten Tagen den EU-Kommissionspräsidenten Jacques Santer sogar brieflich aufgefordert, ein neues Konzept vorzulegen. Die Schreiben aus Bonn hatte Santer seit langem ignoriert. „Die Deutschen haben eine Offensive organisiert, das wird jetzt ernst“, stöhnte ein französischer Beamter.

Bis 1999 gilt noch der alte Verteilungsschlüssel. Die Finanzierung für die Zeit danach muß noch ausgehandelt und einstimmig beschlossen werden. Notfalls will Waigel die gesamten Ausgaben der EU blockieren. Das würde vor allem Spanien, Griechenland und Portugal treffen, die sich am zähesten gegen jede Veränderung sträuben. Die drei Länder bekommen zusammen jährlich 26 Milliarden Mark netto aus der Kasse der EU. Und genau da soll nach Waigels Ansicht das Sparen anfangen. Es sei nicht einzusehen, daß weiterhin Zuschüsse für wirtschaftlich schwache Länder gezahlt würden, damit sie die Aufnahmebedingungen zur Währungsunion schaffen. Schließlich sind Spanien und Portugal aller Voraussicht nach beim Euro mit dabei. Waigel fürchtet, daß sonst klammheimlich ein dauerhafter Finanzausgleich zwischen den reichen und den weniger reichen Euro-Ländern eingeführt werden könnte. Doch es könnte auch sein, daß sich Waigel die Zähne ausbeißt. Deutschland ist der stärkste Verfechter der Osterweiterung der Europäischen Union, die nicht ganz billig werden dürfte. Die südlichen Länder und auch Frankreich wollen nicht einsehen, daß sie dafür etwas abgeben sollen. Sie haben also auch etwas, das sie blockieren können. Zudem zahlt Deutschland genau den Beitrag, der sich aus dem Bruttosozialprodukt errechnet.

Das eigentliche Problem ist, daß Deutschland bei den Ausgaben der EU zu kurz kommt. Das liegt einerseits daran, daß andere Länder mehr wirtschaftlich schwache Regionen haben, die Strukturhilfe erhalten. Zum anderen begünstigt das Agrarsystem Länder, die prozentual mehr Bauern haben als Deutschland. Das wohlhabende Dänemark wird dadurch Nettoempfänger. Doch daran will die Bundesregierung mit Rücksicht auf ländliche Wähler nichts ändern. Bonn gehen bereits die Reformvorschläge zu weit, die von der EU-Kommission vergangene Woche vorgelegt wurden.

Und so bleibt Waigel nichts übrig, als genau das zu tun, was Bonn der verhaßten Margeret Thatcher jahrelang verübelt hat. Mit dem Satz „I want my money back“ hat sie in den achtziger Jahren alle Beschlüsse so lange blockiert, bis sie einen Rabatt von jährlich rund vier Milliarden Mark bekam. Großbritannien zahlt heute noch nicht den vollen Beitrag, und wenn Waigel eine ähnliche Regelung für Deutschland durchsetzen sollte, wird der britische Rabatt verewigt. „Er wurde in York nicht in Frage gestellt“, freute sich der britische Schatzkanzler Gordon Brown.

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