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■ Türkei: Die Militärs tun, wozu das Parlament nicht in der Lage ist. Sie passen das politische System den Erfordernissen der Globalisierung anDie Armee als ideeller Gesamtkapitalist

Die türkischen Militärs sind die Macht, die den politischen Islam bekämpft. Über den Nationalen Sicherheitsrat schreiben sie Regierung und Parlament vor, wie die Bekämfung der islamistischen Gefahr zu gestalten ist. Denn die Generäle fühlen sich nicht nur für Fragen der Landesverteidigung zuständig, sondern für die Konstruktion des Gesellschaftsprojektes schlechthin. Folglich wird in der Kriegsakademie neben dem Kriegshandwerk auch das politische gelehrt.

Materialistisch geschult und mit analytischem Verstand bestückt, wissen die Generäle, daß der politische Islam, der in Bildungsinstitutionen, Wirtschaftskonzernen und Ideologieapparaten stark verankert ist, sich nicht über das Verbot der Wohlfahrtspartei in Luft auflösten wird. So diktieren sie der Regierung nicht nur neue Repressionsparagraphen gegen die Islamisten und Säuberungswellen im Staatsapparat, sondern wirken mit an der Neuordnung des türkischen Bildungssystems und der ökonomischen Schwächung islamistischer Konzerne. Letzteres allein aus Eigeninteresse.

Der nach dem Putsch 1960 gegründete Armeehilfsfonds Oyak – durch Sondergesetze mit Steuerprivilegien ausgestattet – gehört zu den größten Mischkonzernen des Landes. Die Armee als Aktionär verdient an Automobilen, am Zement und an Konserven. Sie ist Chemie- und Bauunternehmer, Versicherungskonzern und Bank in einem. In jüngster Zeit konkurrierten islamistische Konzerne mit Oyak-Firmen um profitable staatliche Aufträge.

Die angeschlagenen Parteien haben einen schweren Stand gegenüber einer politischen Kraft, die als Vertreterin des nationalen Interesses auftritt und weite Teile der Öffentlichkeit auf ihrer Seite weiß. Typisch ist ein Artikel des Chefkolumnisten der größten türkischen Tageszeitung Hürriyet, Ertugrul Özkök, der die Militärs rühmt und die Politiker verdammt. An erster Stelle, so Özkök, stehe in der Politik der Erfolg. Doch die bürgerlichen Politiker seien erfolglos: „Die türkische Armee hat die ihr gestellte Aufgabe im Südosten vollständig erfüllt. Während ein Riese wie Rußland eine Niederlage beim Aufstand der Tschetschenen einsteckte, hat der türkische Soldat eine noch weiträumigere Guerillabewegung niedergedrückt. Zur selben Zeit steckten die Politiker im Korruptionssumpf, erlitten eine vollständige Niederlage bei der Bekämfung der Inflation und hievten den Vorsitzenden einer marginalen Partei, die 21 Prozent der Stimmen erhalten hatte, ins Ministerpräsidentenamt. Auf der einen Seite Ordnung, Autorität und Erfolg. Auf der anderen Seite Erfolglosigkeit, Selbstzerfleischung und Chaos.“

Die Strategie der Militärs zur Bekämpfung des politischen Islam beschränkt sich nicht auf die jüngsten Maßnahmen, die Regierung und Parlament dekretiert wurden. Es geht um eine Strukturreform des politischen Systems, das den Erfordernissen des globalen Kapitalismus gerecht wird. Trotz gegenteiliger Rhetorik haben die Koalitionsregierungen in den neunziger Jahren keine entscheidenden wirtschaftspolitischen Eingriffe vornehmen können. Die Privatisierung öffentlicher Betriebe geht schleppend voran, eine radikale Steuerreform mit dem Ziel, die Großkonzerne zu entlasten und die Landwirtschaft und den schwarzen Markt zu belasten, blieb aus.

Rücksicht auf die Wähler verhinderte einen rigiden Sparkurs der Regierung und eine antiinflationistische Wirtschaftspolitik. So sind es Partikularinteressen, die der Entwicklung des türkischen Kapitalismus im Wege stehen.

Diesen Schwachpunkt hat die Armee erkannt und trifft die Vorbereitungen für ein effizientes kapitalistisches Krisenmanagement, zu welcher die bürgerlichen Politiker nicht fähig sind. Schritt für Schritt wird an der Formierung eines politischen Systems gearbeitet, das die sozialen Folgekosten des Krisenmanagements auffängt.

Noch zu Zeiten des islamistischen Ministerpräsidenten Erbakan haben sich die Militärs ein gesetzliches Instrumentarium geschaffen, um im Notfall politische Macht auf sich zu vereinigen: die Verfügung über das „Krisenführungszentrum des Ministerpräsidenten“, das im Januar vergangenen Jahres in Kraft trat. Ohne parlamentarische Zustimmung kann das Krisenführungszentrum, daß vom Generalsekretär des Nationalen Sicherheitsrates, einem General, geleitet wird, im Fall der „Krise“ auf den Plan treten und legislative und exekutive Rechte an sich reißen. Die Verfügung sei so vage formuliert, meint der Verfassungsrechtsprofessor Bakir Caglar, daß selbst bei Luftverschmutzung die „Krise“ verkündet werden kann.

Bedrängt von den Militärs hatte Erbakan als Ministerpräsident im vergangenen Jahr dem Generalsekretär des Sicherheitsrates eine Blankovollmacht unterschrieben, wonach jener die Durchsetzung von Entscheidungen des Nationalen Sicherheitsrates bei Ministerien und öffentlichen Ämtern kontrollieren kann.

Mittlerweile werden Generäle beim Finanzministerium vorstellig, wenn islamistische Konzerne mit Subventionen bedacht worden sind. Und Strategen des Generalstabes „briefen“ Journalisten zum Kampf gegen die islamistischen Gouverneure, die eigentlich dem Innenministerium unterstehen. Die „Arbeitsgruppe West“, eine von den Militärs zur Bekämpfung der Islamisten ins Leben gerufene Organisation, observiert mit nachrichtendienstlichen Mitteln höchste Beamte und Politiker.

Die ausländischen Botschaften in Ankara haben die Zeitzeichen längst erkannt. Die Generäle fühlen sich auf den Cocktails der ausländischen Botschaften willkommen und pudelwohl. Tatsächlich scheint es nur noch eine Frage der Zeit zu sein, wann eine Delegation des Internationalen Währungsfonds um einen Termin im Generalstab nachsucht.

Die Türken rächten sich bei den Wahlen 1983 an den Generälen, die 1980 geputscht hatten, indem sie dem Politiker Turgut Özal ihre Stimme gaben. Doch die radikalen Eingriffe mit dem Ziel der Liberalisierung der türkischen Ökonomie unter Özal wären nicht möglich gewesen, ohne das repressive politische System der 82er Verfassung, die bis heute gültig ist.

Der zutiefst undemokratische Charakter heutiger Zustände kann beklagt werden. Doch Weinerlichkeit taugt nicht als politisches Konzept. Es sollte Klarheit darüber herrschen, daß die Erfahrungen türkischer Geschichte dafür sprechen, daß sich das türkische Militär als Notgenerator des türkischen Kapitalismus bewähren wird. Ömer Erzeren

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