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Das Institut, die Fusion, der Streit

Umweltbundesamt und Institut für Wasser-, Boden- und Lufthygiene, die zwei wichtigsten Umweltbehörden der Republik, sollen verschmolzen werden – mit viel gegenseitigem Mißtrauen in beiden Häusern  ■ Von Manfred Kriener

Wenn eine Elefantenherde zu groß wird, teilt sie sich. Junge, kräftige Bullen mit Sex-Appeal scharen einige Damen um sich und gehen eigene Wege. Das Großfamiliensplitting der Dickhäuter stand Pate, als im Jahr 1994 das Bundesgesundheitsamt (BGA) zerschlagen und in vier Einzelinstitute parzelliert wurde. Kleine, überschaubare Einheiten sollten geschaffen, das Dickicht der Großbehörde sollte gelichtet werden. So sah es Gesundheitsminister Horst Seehofer, der die Amputation des Amtes im Alleingang exekutierte: Small war wieder beautiful.

Zu den Betroffenen des Umsturzes gehörte damals auch das älteste Umweltinstitut Deutschlands: das Institut für Wasser-, Boden- und Lufthygiene des BGA. Das „Wabolu“, wie es überall genannt wird, wurde in die Selbständigkeit entlassen, organisatorisch aber ans Umweltbundesamt (UBA) angebunden. Vier Jahre dauerte das Leben auf eigenen Füßen, dann änderte die Evolution plötzlich ihre Richtung. Die Elefantenherde verwandelte sich in einen Ameisenstaat.

Neue Direktive: Alles auf den großen Haufen. Das Umweltbundesamt will sich das Institut einverleiben, das Wabolu soll aufgelöst werden. Small ist nicht mehr beautiful. Jetzt zählen plötzlich wieder Größe, Synergieeffekte, mehr Effizienz. Durch die Zusammenlegung soll ein neues, schlagkräftiges Amt entstehen. „Die Situation hat sich fulminant geändert“, sagt UBA-Präsident Andreas Troge, der die Kräfte bündeln will.

Nicht geändert hat sich die Prozedur: Auch diesmal geschieht die Auflösung des Instituts per Dekret unter weitgehender Ausschaltung demokratischer Errungenschaften. Das nahe Ende wurde durch den Präsidenten überraschend verkündet, nur wenige Tage nachdem Institutsleiter Henning Lange-Asschenfeldt mit Troge vertrauensbildend zusammensaß, um die weitere Zusammenarbeit zu bereden.

In dem persönlichen Gespräch sei die Auflösung seines Instituts „nicht einmal angedeutet worden“, beschwert sich der Wabolu-Chef. Die Grobstruktur der neuen Organisation und das Verschmelzen des Instituts im künftigen FachbereichII des UBA hat Troge im Alleingang festgelegt und dann mit den Ministerialbeamten des Bonner Umweltministeriums abgestimmt. Ministerin Angela Merkel (CDU) soll den Plänen bisher nur mündlich zugestimmt haben.

Es geht dabei um mehr als nur die Auflösung des Wabolu. Der Streit um die Neuorganisation ist heillos mit dem Rationalisierungsdruck und Stellenpoker sowie dem drohenden Umzug nach Dessau in Sachsen-Anhalt verknotet. Die Fusion der wichtigsten staatlichen umweltwissenschaftlichen Einrichtungen der Bundesrepublik gerät zum Verschiebebahnhof. Das UBA-Dilemma: In Dessau, dem künftigen Hauptsitz des Amtes für 800 Mitarbeiter, sind keine Laborkapazitäten für das Wabolu vorgesehen.

Die Ausschreibung des Raumbedarfs war noch vor den Fusionsplänen erfolgt. Das Gesundheits- und Hygiene-Institut arbeitet aber – anders als die Kollegen des UBA, die ausschließlich Papier bewegen – vorwiegend experimentell. Was nun? Neue Laborräume wären sündhaft teuer.

Noch Anfang des Jahres war Präsident Troge überzeugt, die Wabolu-Mitarbeiter könnten in Berlin bleiben. Dann erinnerte sich der inzwischen abgelöste Bauminister Klaus Töpfer an das Versprechen, in Bonn neue Arbeitsplätze zu schaffen mit dem Schwerpunkt „Umwelt und Gesundheit“. Zudem ist das Bauministerium scharf auf das repräsentative Wabolu-Gebäude in bester Berliner Lage.

Vorläufiger Zwischenstand im großen Standortroulette: Große Teile des Wabolu sollen nach Bonn verschubt werden, andere werden in Berlin bleiben, ein dritter Teil, der nicht experimentell arbeitet, darf vielleicht nach Dessau. Und das UBA hat ja auch noch Standorte in Langen, Frankfurt und Bad Elster. Synergieeffekte? Mehr Effizienz? Bessere Zusammenarbeit? Oder nur Chaos und Gewurschtel?

Die Spekulationen unter den aufgebrachten Wabolu-Wissenschaftlern reichen inzwischen bis zu Vermutungen, daß ihr Institut dazu benutzt werde, mit einer gezielten Vermischung experimenteller und administrativer Aufgaben am Ende vielleicht den ungeliebten Umzug nach Dessau zu sabotieren oder zumindest zu reduzieren, weil sonst die Arbeitsfähigkeit des fusionierten Amtes nicht mehr gewährleistet sei. Im UBA wird dies als „absurd“ zurückgewiesen.

Eng verknüpft ist die Wabolu-Auflösung mit dem Stellensterben beim Umweltbundesamt. Der Bonner Beschluß, die Bundesverwaltung abzuspecken, kostet die Behörde jährlich 16 bis 20 Arbeitsplätze. Das macht in dem Amt mit knapp 1.000 Mitarbeitern immerhin eine halbe Abteilung aus. Und das Streichkonzert ist noch nicht beendet. Die Wabolu-Mitarbeiter befürchten deshalb, daß sie dem Umweltamt vorwiegend als „Stellensteinbruch“ zugeschlagen werden. Immerhin, so die Kritiker der Fusion, bringen sie 250 Stellen mit, die etliche Lücken im ausgelichteten UBA schließen können.

Stellungnahmen zu diesen Vorgängen sind aus Deutschlands ältestem Umweltinstitut – in drei Jahren wäre man 100 Jahre alt geworden – derzeit nicht zu haben. Gegen den Institutsleiter wurde bereits ein Disziplinarverfahren eingeleitet und wieder niedergeschlagen. Die übrigen Kritiker knebelt das Beamtenrecht. Geredet wird nur im Hinterzimmer. Was die Mitarbeiter am Berliner Corrensplatz von den Fusionsplänen, den Umzügen nach Bonn oder Dessau und der Auflösung ihres „Stückchens Wabolu-Zucker im Bodensee des Umweltbundesamtes“ halten, das haben sie mit 234 Unterschriften und einer Petition ausgedrückt.

Vom Pförtner bis zum Amtsleiter wehrt sich das Institut fast geschlossen gegen den „Identitätsverlust“ und eine „Integration bis zur Unkenntlichkeit“. Nicht Integration, sondern Transplantation und Ausschlachtung werden befürchtet. Dem UBA-Konzept der Auflösung hat man einen eigenen Spar- und Organisationsvorschlag mit Erhalt der Selbständigkeit gegenübergestellt und diesen an die Bonner Petition angehängt.

Spätestens an dieser Stelle wird der Streit unversöhnlich: Wabolu-Mitarbeiter werfen Präsident Troge vor, er habe die Petition nicht vollständig nach Bonn weitergeleitet. Unterschriftenliste und Organisationsmodell seien von ihm zunächst „kassiert“ worden. Der Präsident wies die Vorwürfe energisch zurück: „Selbstverständlich habe ich die Petition mit allen Unterschriften weitergeleitet. Ich kann Ihnen eine Nummer im Ministerium geben, da können Sie fragen, ob das angekommen ist.“ Aber auch Troges Kritiker nennen Name und Telefonnummer der Person, die bestätigen soll, daß die Petition zu Teilen unterschlagen wurde. Inzwischen, so viel steht immerhin fest, ist sie vollständig in Bonn eingetroffen.

Verärgert sind die Wabolu-Mitarbeiter auch aus anderem Grund: Sie werfen Troge vor, er habe in einem Brief an das Umweltministerium gelogen und den Konflikt mit dem Wabolu verschwiegen. Der Brief liegt der taz vor: Erster Absatz, letzter Satz: „Ebenfalls übersende ich Ihnen das auch mit den Betroffenen einvernehmlich erarbeitete neue Abteilungsleiterkonzept.“ Von Einvernehmlichkeit kann gewiß keine Rede sein.

Einvernehmlich wurden die Mitarbeiter indes mit falschen Versprechungen ruhiggestellt. Egal ob Umweltminister Töpfer, Umweltstaatssekretär Stroetmann, Gesundheitsstaatssekretär Wagner oder der frühere UBA-Präsident, Freiherr von Lersner: sie alle haben in blumigen Vokabeln immer wieder geschworen, daß ihr „besonderes Anliegen die Erhaltung der Identität des Wabolu als eines der ältesten staatlichen Umweltforschungsinstitute der Welt ist“. Alle „Sorgen in bezug auf die Eigenständigkeit sind unbegründet“. Lippenbekenntnisse ohne Wert.

„Wir haben heute eine grundsätzlich andere Situation, wir stehen im Wettbewerb mit anderen“, begründet der UBA- Präsident den Sinneswandel. Zwei Abteilungen für Wasser, Boden und Luft im UBA und im Wabolu könne man sich nicht mehr leisten. Und sein Organisationsleiter Thomas Holzmann ergänzt: „Es geht um die Zukunftsfähigkeit des Umweltbundesamts insgesamt, jeder Fachbereich ist betroffen, auch die Zentralabteilung ist dem Verschlankungsprozeß unterworfen.“ 8 von 23 Abteilungen wollen Troge und Holzmann mit der neuen Struktur einsparen. Die Feinabstimmung wollen sie gemeinsam mit den Wabolu-Mitarbeitern treffen.

Doch die können die Reizbegriffe „Neuorganisation“ und „Integration“ kaum noch ertragen. Bei ihnen sind die Grenzen zwischen Integrieren und Intrigieren fließend geworden. Seit einer kleinen Ewigkeit von acht Jahren verhandelt das Amt ununterbrochen über eine Neustruktur. Die Arbeit sei längst nebensächlich, spotten alte Institutshasen. Schon im früheren Bundesgesundheitsamt habe die Umorganisation permanent auf der Tagesordnung gestanden. Beim neuen Ziehvater UBA angekommen, wurden zuerst die Unternehmensberater der Firma Kienbaum auf die Gesundheitswissenschaftler losgelassen.

Als sie nach zwei Jahren ein neues Organisationsmodell fanden, verschwand es in den Schubladen. „Wir kamen offenbar zu gut weg“, sagen die Kritiker im Wabolu. Dann entwickelte der UBA-Präsident sein eigenes Konzept. Das fiel aber beim Bonner Ministerium durch. Jetzt hat Troge noch mal nachgedacht und ein neues Modell geliefert. Diskussionen darüber „sind unerwünscht“, beklagen sich die Wabolu- Mitarbeiter und beobachten, wie die neue Struktur bis zur Bundestagswahl durchgeboxt werden soll.

Vereinigt werden bei der Fusion aber nicht nur zwei Ämter, sondern auch zwei Spezies von Wissenschaftlern, die sich mit großem Mißtrauen begegnen. Der Wabolu-Kollege – „Ich mache Experimente, also bin ich“ – ist als „Meßknecht“ verschrien, der UBA-Mitarbeiter, der wissenschaftliche Aufträge vergibt und interpretiert, gilt als „Schreibtischtäter“. Beide könnten sich gut ergänzen. Doch dazu brauchte es einen offenen Streit, einen gleichberechtigten und demokratischen Diskurs. Mit militärisch übergestülpten Organisationsmodellen, mit Lügen und der Parzellierung der Ämter in Bonn, Berlin, Dessau und anderswo schafft man keine Corporate Identity. Und keine gute Wissenschaft.

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