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Vor dem Bekenntnis stehen die Bedenken

■ Euro-Ambivalenz der Opposition: SPD-Kandidat Schröder sucht nach „guten Gründen“, die D-Mark abzuschaffen. Joschka Fischer verlangt eine weitergehende europäische Integration

Es spricht der Kanzlerkandidat der SPD, Gerhard Schröder. Plötzlich entsteht Unruhe in den Reihen der Union. Abgeordnete gehen herum, reden lautstark, wollen die Bedeutungslosigkeit der Rede des Kanzlerkandidaten der SPD zum Euro signalisieren. Schröder reagiert: „Auch wenn Sie stören und angeblich nicht verstehen wollen, was ich sage, die Menschen draußen, die uns zuschauen, verstehen es ganz genau.“

Deutlicher hätte es Schröder nicht sagen können. Bemerkenswert gelassen, ungewohnt frei redend, erstaunlich souverän wendet er sich nicht an die Abgeordneten im Bundestag, sondern hält eine Rede an „die Menschen draußen“, diejenigen, die am 27. September über den Bundeskanzler zu entscheiden haben. Und diese Rede ist mit Skepsis vor dem Euro gespickt, als ließe sich die Währungsunion noch verhindern.

Als am 2. April dieses Jahres die Abgeordneten für die Einführung des Euros abstimmten, hatte noch SPD-Chef Oskar Lafontaine die Hauptrede für die SPD gehalten. Er hatte mit dem Satz begonnen, der Euro sei eine historische Chance, hatte keinen Zweifel an seiner Treue zum Euro gelassen, aber unnachgiebig eine europäische Beschäftigungsinitiative angemahnt. Schröder präsentiert sich dagegen erst einmal als Kandidat. Gleich zu Beginn richtet er sich an Kanzler Kohl, der im Laufe seiner Rede gestichelt hatte, die SPD werde „demutsvoll“ das Ergebnis der Bundestagswahl zur Kenntnis nehmen müssen: „Ich glaube Ihnen, daß Sie die Bundestagswahl gewinnen wollen“, sagt er unter dem Gelächter der Genossen. „Ich frage mich nur, wie bringen Sie das Ihrer Partei bei?“

Vor das Bekenntnis zum Euro hat Schröder die Bedenken gestellt, und er wirkt dabei wie ein Anwalt, der nach Konsultation mit seinen Mandanten, in diesem Fall der Mehrheit der Deutschen, deren Ansichten vertritt. Er betont, wie es der bayerische Ministerpräsident Edmund Stoiber nicht besser könnte, die immense Bedeutung der D-Mark („Symbol des Aufstiegs aus den Trümmern“), spricht von der Gefahr für die Arbeitsplätze und kritisiert die „Legitimationsprobleme beim deutschen Volk“, womit er meint, daß es keine Volksabstimmung zum Euro gegeben hat. „Wer die D-Mark ersetzen will“, sagt Schröder, „braucht dafür verdammt gute Gründe. Mein Eindruck“, fährt er fort, „ist, daß es diese Gründe gibt.“ Mein ,Eindruck‘, sagt Schröder. Viel deutlicher kann er an diesem Tag seine Ambivalenz nicht zum Ausdruck bringen.

Er sagt ja aus sozialdemokratischer Sicht nichts Falsches, Parteichef Oskar Lafontaine hat keinen Grund zum Meckern. Selbst die europaweite Harmonisierung von Steuern und Abgaben mahnt Schröder an, als wenn er selbst felsenfest von der Durchsetzbarkeit dieses Vorhabens überzeugt wäre und ihm nicht Lafontaine die Feder geführt hätte. Aber der Ton macht die Musik, und wie man den richtig treffen kann, zeigt später Fraktionschef Rudolf Scharping in seiner lebhaft beklatschten Rede. Auch Scharping spricht die Ängste der Menschen vor dem Euro an, auch er fordert dringend eine europäische Beschäftigungsinitiative, aber er bettet seine Kritik anders ein. Er spricht davon, daß sich das Parlament zum erstenmal seit dem Zweiten Weltkrieg in einer außenpolitischen Frage derart einig sei, redet von einem „einmaligen Beispiel klugen politischen Lernens aus der deutschen Geschichte“ und leitet aus der Überzeugung von der Notwendigkeit des Euro die Notwendigkeit ab, das Volk ebenfalls davon zu überzeugen. Scharping spricht den Sozialdemokraten aus dem Herzen, wenn er mit Leidenschaft in der Stimme ruft, der Kampf um die Stabilität des Geldes müsse einhergehen mit dem Kampf um Solidarität und Gemeinsamkeit und dem Kampf um Arbeitsplätze. Auch Schröder hatte zuvor ähnliches gemeint, als er sagte, es dürfe keinen Unterschied zwischen der politischen und der ökonomischen Einigung geben. Aber das sagte eben jemand, der scheinbar die Ängste der Bevölkerung vor den ökonomischen Folgen des Euro in den Mittelpunkt rückt.

Ähnlich wie Scharping, geht auch der Chef der Bündnisgrünen, Joschka Fischer, vor. Er betont sein „ganz klares Ja“ zum Euro, begründet seine Zustimmung damit, daß es dazu keine Alternative gebe und fordert auf dieser Folie ernsthafte Anstrengungen, den Integrationsprozeß auch wirklich umzusetzen. Wie kein anderer betont Fischer die schrecklichen Erfahrungen aus der Nazizeit und folgert daraus die Notwendigkeit des europäischen Einigungsprozesses. „Nationale Interessen“, sagt Fischer, „werden durch europäische Interessen definiert.“ Markus Franz, Bonn

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