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Die Angst vor den Studenten

In Indonesien haben die Studierenden in den 60er Jahren schon einmal eine Regierung gestürzt. Die Proteste gegen Suharto weiten sich über die Universitäten hinaus aus  ■ Von Jutta Lietsch

Bangkok (taz) – Als die Suharto-Figur aus Pappmaché in Flammen aufging, wurde es für einen Augenblick ganz still. Dann brachen die StudentInnen auf dem Campus der Gadjah-Mada-Universität der Stadt Yogyakarta in Jubel aus: „Weg mit Suharto!“ riefen einige Mutige, und: „Reformen sofort!“ Das war Mitte März, als sich Präsident Suharto nach 32jähriger Herrschaft zum siebten Mal im Amt bestätigen ließ.

Die Proteste haben seitdem nicht nachgelassen. Die Unzufriedenheit über die Wirtschaftskrise und die steigenden Preise hat sich in eine Bewegung zum Sturz des Regimes gewandelt. Gestern ist es in Nordsumatras Provinzhauptstadt Medan zu Zusammenstößen zwischen Tausenden von Demonstranten und bewaffneten Sicherheitskräften gekommen. Die Regierung hatte zuvor drastische Preiserhöhungen für Benzin und Strom in Kraft gesetzt – Auflagen des Internationalen Währungsfonds (IWF) für bereitgestellte Milliardenkredite.

Die Unruhen haben sich damit über die Universitäten hinaus ausgeweitet. In der Industriestadt auf der Insel Sumatra und in einem halben Dutzend anderen Universitätsstädten hatten sich in den letzten Tagen Studenten und Polizisten Schlägereien geliefert. Die regierenden Militärs befürchten, daß sich die Geschichte der Unis wiederholt. Indonesiens StudentInnen haben schon beim letzten Machtwechsel 1965 eine wichtige Rolle gespielt – als sie mit ihren gelben Universitätswesten durch die Hauptstadt Jakarta marschierten und den Rücktritt des damaligen Präsidenten Sukarno forderten. Auch damals hatte Indonesien in einer tiefen Wirtschaftskrise gesteckt. Staatsgründer Sukarno, dessen Tochter Megawati sich heute als demokratischere Alternative zu Suharto anbietet, hatte längst die Sympathien der meisten Indonesier verspielt.

Viele Studenten wandten sich wie heute gegen die rigide Kulturpolitik und Zensur, die von Sukarno geförderte linke Intellektuellen ausübten. Sukarno herrschte nach der Maxime „gelenkte Demokratie“. Er meinte damit vor allem „Führungsqualität“. Anti-Sukarno-Kräfte in der Armee sind zu Ansprechpartnern der protestierenden Studenten geworden.

Als das Militär unter General Suharto schließlich die Macht übernahm, begrüßten große Teile der Mittelschicht und der antikommunistischen StudentInnen die „Neue Ordnung“. Die Studenten gaben damals „der militärischen Machtablösung ihre glaubwürdige Legitimierung“, glaubt der indonesische Soziologe Ariel Heryanto – obwohl das neue Regime Kommunisten brutal verfolgte, eine halbe Million Menschen ermordete und mehr als ein Million in Kerker und Straflager warf.

Suharto regierte mit eiserner Hand. Opposition zerstöre die Harmonie und die Einheit des Landes, predigte das neue Regime. Die Bevölkerung durfte sich nur noch einmal alle fünf Jahre politisch betätigen, bei der Wahl zum machtlosen Parlament. In der Zwischenzeit solle sie ungebunden zwischen den Parteien „schweben“, um eine gewalttätige Polarisierung wie zum Anfang der „Neuen Ordnung“ zu vermeiden. Dies galt auch für die Universitäten, wo in den siebziger Jahren jede politische Betätigung verboten wurde. Demonstrationen wurden scharf verfolgt, zahlreiche StudentInnen mußten lange Gefängnisstrafen absitzen, weil sie es gewagt hatten, Suharto zu kritisieren. Ergebnis: eine völlig entpolitisierte und zersplitterte Studentenschaft.

In Indonesien, dessen Bevölkerung zum großen Teil immer noch bitterarm ist, können nur fünf Prozent der Jugendlichen nach der 12jährigen Schulzeit eine weitere Ausbildung antreten. Zum Vergleich: In Malaysia beginnen immerhin elf, in Deutschland um die 30 Prozent ein Studium. Die 2,3 Millionen StudentInnen, die derzeit an den 77 staatlichen und 228 privaten Fachhochschulen und Universitäten eingeschrieben sind, haben nie etwas anderes gekannt als eine Regierung unter Suharto. In den letzten Monaten haben Militär und Polizei die demonstrierenden StudentInnen relativ zurückhaltend behandelt. Die StudentInnen durften bislang demonstrieren, solange sie auf ihrem Campus bleiben. Tränengaseinsätze und Prügel gab es meistens, wenn kleine Gruppen von Aktivisten versuchten, auf die Straße zu marschieren. Noch sind die Studenten kaum organisiert, eine gemeinsame Führung und klare politische Programme sind nicht zu erkennen. In den letzten Monaten haben sie jedoch immer engere Kontakte zwischen den Tausende von Kilometern auseinanderliegenden Hochschulen geknüpt – unter anderem auch mit Hilfe des Internets. An ihren Kundgebungen beteiligen sich längst auch renommierte WissenschaftlerInnen und Universitätsrektoren. Die Behörden hofften zunächst, daß die Proteste den Schwung verlieren würden. Suharto-kritische Militärs unterstützen offenbar die Proteste, heißt es. Wiederholt sich die Geschichte?

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