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Der Mann, an dem das Team klebt

Vor den heute beginnenden Finalspielen um die Deutsche Basketballmeisterschaft gegen den SSV Ulm sorgt sich auch Henrik Rödl, Kapitän von Titelverteidiger Alba Berlin und Prototyp des Mannschaftsspielers, um seine Zukunft  ■ Von Holger Stark

Das ist typisch Boulevardpresse. Kaum sitzt man nach jahrelanger Leistung ein paar Wochen verletzt auf der Bank, ist man von der Yellow Press abgeschoben, vergessen, verkauft. „Muß Rödl gehen?“ stichelten Berliner Boulevardblätter vor wenigen Wochen und suggerierten, das Basketballspitzenteam von Alba Berlin habe möglicherweise kein Interesse mehr an dem Nationalspieler. Henrik Rödl hat das geärgert, „mitten in der Saison so einen Unsinn lesen zu müssen“ – und Basketballer lesen im Unterschied zu einigen Fußballern mehr als nur die Headline.

Der Kapitän von Alba Berlin hatte sechs Wochen ein derartiges Zwicken im Rücken, daß er humpelte, als hätte er die Gicht. Also konnte Rödl nicht Basketball spielen, und das in der wichtigsten Phase der Saison: Viertelfinale in der Europaliga, Play-off-Halbfinale um die Deutsche Meisterschaft. Dabei haben die Boulevardschreiber wieder einmal gar nichts verstanden. Natürlich, Henrik Rödl macht keine 19 Punkte im Schnitt pro Spiel wie Albas bester Korbjäger, Wendell Alexis. Und er jagt den Ball nicht so spektakulär durch den Korb wie „Flying“ Henning Harnisch, mit dem er seit Jahren in der Nationalmannschaft und seit vergangener Saison auch im Verein zusammenspielt. Und trotzdem ist Henrik Rödl (29), geboren in Offenbach und seit 1993 im Berliner Team, nicht nur bei Alba eine Schlüsselfigur, sondern auch in der Nationalmannschaft. Einer, der nicht nur zu den besten Basketballern Deutschlands gehört, sondern auch nahezu alles gewonnen hat, was man gewinnen kann: die Europameisterschaft mit der Nationalmannschaft, dazu den Titel in der US-College-Liga NCAA, Korac- Cup, Meisterschaft und Pokal mit Alba und, wenn in der heute beginnenden Endspielserie gegen den SSV Ulm alles erwartungsgemäß läuft, auch die Meisterschaft in diesem Jahr.

Henrik sei „der Klebstoff, der alles zusammenhält“, sagt Teamkollege Wendell Alexis, und das ist aus dem Munde eines coolen US- Profis, der in halb Europa gespielt hat, mehr als nur ein pflichtschuldiges Lob. Rödl ist der Typ, der bei einem Fast-Break vor dem gegnerischen Korb nicht an die eigene Statistik denkt, sondern lieber zum mitgelaufenen Mitspieler paßt, wenn der auch nur einen Millimeter günstiger steht.

Natürlich kann er ihn auch selbst reinmachen. Die Statistik sagt, daß Henrik Rödl auch schon mal 17 Punkte pro Spiel im Durchschnitt versenkt hat und damit zu den Scoring-Stars der Bundesliga gehörte. Das war in der Saison 1995. Dann kam der Trainer und gab ihm andere Aufgaben: die Abwehr organisieren, das Team zusammenhalten. „Ab und zu muß ich schon auch mal punkten, um nicht ganz ungefährlich zu wirken“, sagt Rödl und grinst, als hätte er einen wirklich guten Witz gerissen. „Aber primär erfülle ich die Aufgaben, die der Trainer mir stellt: meinen Mann halten, Rebounds holen, der Mannschaft helfen.“ Also läuft der Flügelspieler in der Abwehr seitdem wie Haile Gebrselassie und wirbelt mit den Armen, um die gegnerischen Stars auszuschalten.

So was wird belohnt. Nicht durch die Statistik und nicht unbedingt mit einem Millionen-Angebot aus Spanien oder Griechenland, da, wo Basketball fast so groß ist wie Fußball. In Deutschland wird man dafür zum Kapitän ernannt. Rödl ist das gleich zweifach: bei Alba und in der Nationalmannschaft. „Ich habe das Gefühl, ich bin überall Kapitän“, sagt der Zweimetermann, und feine Ironie durchströmt den Raum, als er hinzufügt: „Das ist ein Zeichen, daß man zu den Erfahreneren gehört. Zu denen, die die Wimpel austauschen dürfen.“

Den Zuarbeiter spielte er schon bei den Tar Heels, der Mannschaft der University of North Carolina in der College-Liga NCAA. Damals, von 1989 bis 1993, war Rödl immer der sechste Mann, der „da ausgeholfen hat, wo die anderen müde wurden“. Einige seiner ehemaligen Mannschaftskollegen wie Eric Montross oder Rick Fox spielen heute in der NBA. Daß er das mit seinen Allrounder-Qualitäten nicht schaffen würde, war schnell klar. Einmal ist er in eins der Camps geladen worden, da, wo eine Vorauswahl getroffen wird, wer für die NBA in Frage kommt und wo Basketball wegen des Konkurrenzdrucks zum Krieg wird. „Ich habe da wohl nicht gerade geglänzt“, sagt er leise, „da war ich mehr als Beobachter.“

Statt dessen lernte er in den USA Susan kennen. Die beiden sind seit elf Jahren zusammen, seit damals, als Henrik das erste Mal mit einem Schüleraustausch in den USA war. Als er zurück mußte, schrieben sich die beiden und besuchten sich in den Ferien. Dann kam das College, und seit 1991 heißt Susan mit Nachnamen ebenfalls Rödl. Als Alba 1993 in Amerika anrief, um den Forward zu verpflichten, war klar, daß die beiden nur zusammen gehen oder gar nicht. „Ich brauche meine Privatsphäre“, sagt Rödl. „Da finde ich meine Kraft drin. Ich bin eher ein Kleiner-Kreis-Typ.“ Tochter Leah ist heute sieben Monate alt. Seine Lieblingstiere sind Wale.

Typen wie Henrik Rödl stammen eigentlich aus einer anderen Zeit. Als er Teenager war, konnte man vom Basketball noch nicht leben, also studierte er Biologe, und hätte die Basketballkarriere nicht geklappt, würde er heute möglicherweise als Arzt arbeiten. In den Neunzigern, nach Bosman und dem Boom der NBA, kann man auch in Europa nicht nur mit dem Treten, sondern auch mit dem Werfen von Bällen zum Millionär werden. Der deutsche National- Center Sascha Hupmann verließ Alba letztes Jahr und ging für eine Million Mark nach Griechenland. Daß er dort als dritter Mann fast nie spielt, ist nur ein Schönheitsfehler. Umgekehrt sind diverse europäische Stars in die Bundesliga gewechselt. Wer heute nicht seine Angebote kalkuliert wie ein Wirtschaftsprüfer die Aktienkurse, gilt schon als altmodisch.

„Wir fühlen uns wohl in Berlin“, sagt Rödl fast schon trotzig, so als müßte er sich rechtfertigen, bisher nicht in den Vertragspoker eingestiegen zu sein, schließlich läuft zum Saisonende sein Dreijahreskontrakt aus. „So wohl, daß wir Berlin derzeit unsere Heimat nennen.“ Ja, sagt er, er denke schon, daß da noch das eine oder andere Angebot aus Südeuropa kommt. Da her, wo Vereine wie Kinder Bologna mit einem Jahresetat von 30 Millionen Dollar eine Million auch für Ersatzspieler zahlen, mehr als Henrik Rödl bei Alba jemals verdienen wird. Kann gut sein, daß die Rödls trotzdem in Berlin bleiben. Wegen des Vereins, des Teams, wegen der Stadt und zum Wimpelaustauschen. Die Fans werden ihn dafür lieben. Bloß die Boulevardpresse, die wird sich schon noch was einfallen lassen.

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