: Anti-Betroffenheits-Kaspern
■ „Zombie '45 – am Baß Adolf Hitler“ von Nicolas Stemann findet über Geschmacklosigkeiten zur deutschen Geschichte
Vor 50 Jahren wurde der Staat Israel gegründet, 15 Jahre zuvor kam Hitler an die Macht. Was dazwischen geschah, ist all jenen, denen Kanzler Kohl die „Gnade der späten Geburt“ attestiert, als Schulbuchlektüre, als Vorabendserie, als betroffenheitsschwangerer Redefluß einer sonoren Stimme aus dem Radio bekannt. Wenn aber Auschwitz so ganz handlich in Bücher, Radioapparate und jeden TV-Kasten paßt, bekommt man über die Handlichkeit und Handhabbarkeit des Unfaßbaren ein Problem: Das Begreifen bleibt ebenfalls auf mentaler Wohnzimmergröße. Sechs Millionen vergaste Juden – „Ist doch schrecklich, oder?“ „Ja“, antwortet der junge Mann auf der Bühne und zupft an seinem T-Shirt.
Mit der ominösen Bewältigung der NS-Geschichte haben die Deutschen ein Problem. Hollywoodproduktionen, Holocaust-Denkmal, Lichterketten – über all das wird gern gestritten. Nur in einem sind alle einig: Spaß, das ist klar, darf nicht sein. So lag Gerd Reinke denn auch voll daneben, als er am 30. Mai 1997 in einem israelischen Hotel eine Getränkerechnung mit „Adolf Hitler“ unterschrieb. Seine hilflos anmutende Entschuldigung „it was a joke“ machte die Sache entsprechend schlimmer. Der Kontrabassist der Deutschen Oper wurde umgehend aus selbiger gefeuert, seine Soli aus frischen CD-Produktionen geschnitten und der Berliner zur Unperson erklärt. Daß die wesentlich schlechteren Scherze der deutschen Nachkriegsgeschichte, etwa die Berufung ehemaliger NSDAP-Mitglieder zu Richtern, nicht noch einmal diskutiert wurden, versteht sich.
Am Freitag, 53. Jahrestag des Kriegsendes, zeigten Nicolas Stemann und Bernd Stegemann die Uraufführung ihres jüngsten gemeinsamen Projekts Zombie '45 – am Baß Adolf Hitler, das sie als „eine Show der Tabubrüche wider das Vergessen“ verstanden wissen wollen. Auf der Bühne der Kammerspiele, wo die Deportationen Hamburger Juden begannen, wurde eine Tribüne gebaut, von der sechs Schauspieler immer wieder zum KZ-Spielen in die Arena hinabsteigen. Mit Edding werden Nummern auf Arme geschrieben, beim Baucheinziehen zur Demonstration der Magerheit Unterhosenetiketten sichtbar. Man gibt sich redlich Mühe, schlechte Witze zu machen und zeigt das totale Kasperletheater.
Bisweilen gerät der Dilettantismus außer Kontrolle, und es wird nur noch mit blonden Perücken gehampelt oder mit Wasserspritzpistolen Deutsche Oper gespielt. An anderen Stellen gelingt die Provokation und wird dort stark, wo sie neben der Unfähigkeit des entspannten Umgangs mit der deutschen Geschichte auch seine Unmöglichkeit zeigt: Etwa wenn zur Normalisierung der Verhältnisse die stets gemiedene Bezeichnung „Jude“ vom Publikum im Chor skandiert werden soll.
Zombie '45 ist nicht angetreten, dem KZ den Schrecken zu nehmen, sondern die verordnete nationale Betroffenheit als einzig gültige Reaktion zu hinterfragen. Es gab in Hamburg schon stärkere Versuche, durch sogenannte Geschmack-losigkeiten einen ehrlichen Zugang zur Geschichte zu finden: Peter Zadeks Ghetto-Revue und die Beschreibung des Holocausts als nationale Volksreligion durch das israelische Theaterzentrum Acco. Trotzdem ist Zombie '45 ein lohnender Versuch, die Unfähigkeit des Umgangs mit der Vergangenheit mit lauter Beiläufigkeit in der Ignoranz der Gegenwart aufpoppen zu lassen.
Christiane Kühl
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