■ Cash & Crash: Schöne weiche Lira
Hamburg (taz) – Deutsche Anleger lieben heute die spaghettiweiche italienische Lira genauso wie den beinharten amerikanischen Dollar. So entfielen im vergangenen Jahr allein 26 Milliarden Mark der Käufe von festverzinslichen Rentenpapieren auf Lira-Papiere. „Die italienische Währung lag damit in der Gunst deutscher Investoren gleichauf mit dem Dollar“, freut sich die Deutsche Bundesbank in ihrem aktuellen Monatsbericht. Die Anleger spekulieren bei ihrer Lira-Anlage auf weiterhin sinkende Zinsen am Apennin.
Verantwortlich für die deutsche Liebe zur südeuropäischen Weichwährung ist ein nahezu unbekanntes Euro-Kriterium: die Annäherung der Zinssätze der Euro-Anwärter. Noch 1995 lagen die Renditen am Geld- und Kapitalmarkt in Deutschland und Italien weit auseinander: Hierzulande brachte Dreimonatsgeld etwa fünf Prozent Zinsen, während sich Italiener oder Spanier über saftige zehn Prozent und mehr freuen durften. Inzwischen hat eine drastische Angleichung stattgefunden. Staatsanleihen in Frankreich oder Deutschland, in Italien oder Spanien bringen inzwischen alle eine jährliche Rendite von etwa fünf Prozent.
Der jüngste Run deutscher Anleger auf die Lira basiert auf der naheliegenden Spekulation, daß die italienischen Zinssätze weiter sinken, denn noch besteht eine Differenz von 0,4 Prozentpunkten gegenüber deutschen. Dann werden die höherverzinslichen 97er Lira-Papiere hoch im Kurs stehen und gut an der Börse zu verkaufen sein. Der Kursgewinn kann steuerfrei als Euro-Dividende verbucht werden.
Tückisch ist diese weitere Euro-Konvergenzstory vor allem für die Wirtschafts- und Finanzpolitik. Nachdem seit dem Euro-Gipfel vor zehn Tagen de facto der Ausweg verbaut ist, über die nationalen Wechselkurse auf den realen Wirtschaftsprozeß einzuwirken, löst sich auch der andere starke Hebel auf: die Zinspolitik der Zentralbanken. Sollte nun im Euro- Land die Konjunktur im Norden anders laufen als im Süden, bleibt nur noch eine Absenkung der Steuersätze oder der staatlichen Ausgaben als Ausweg.
Obendrein „müssen die Arbeitsmärkte flexibler werden“, fordert das Kieler Institut für Weltwirtschaft, wie das auch IWF oder viele europäische Regierungen tun. Statt einer Europäisierung der Tarifpolitik verlange der Euro nach lohnpolitischen Entscheidungen auf Unternehmensebene. Derweil Arbeiter und Arbeitslose die flexiblen Anpassungsmöglichkeiten von Zinsen und Währungen ersetzen sollen, bleibt den Anlegern nur noch die Drachme: Die jüngste Staatsanleihe der Republik Griechenland über 180 Milliarden Drachmen soll an Ausländer weggegangen sein wie warmer Gyros. Die Rendite liegt mit einem Kupon von 8,6 Prozent mehr als drei Prozent über der von Bundesanleihen. Ab 2001 dürfte auch damit Schluß sein: Dann will auch Griechenland Mitglied im Euro-Club sein. Hermannus Pfeiffer
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