: „Ich hatte Todesangst“, sagt Henri
■ Kongolesische Häftlinge im Gewahrsam des Geheimdienstes CNS in Kinshasa erleben Willkür und Brutalität. Einige zufällig miterlebte Fälle
Nach einem mehrwöchigen Streik der Postangestellten wird der Chef des staatlichen Postunternehmens der Demokratischen Republik Kongo, Josef, zu einem Gespräch beim CNS eingeladen. Dabei wird er festgenommen. „Die haben mich gefragt, warum die Leute streikten“, berichtet er etwas ratlos nach seinem Verhör. Andere Regierungen lesen für so etwas Zeitung. Wenn die Regierung des Kongo etwas wissen will, bestellt sie ihre Gesprächspartner offenbar direkt ein.
Da er unter Mobutu schon einmal Chef der Post war, hat Josef in dem einen Jahr Kabila-Herrschaft inzwischen zehn sogenannte cachots in Kinshasa kennengelernt, wie den Raum, in dem hier die Häftlinge festgehalten werden. „Aber meine Angestellten wollten mich wiederhaben“, erzählt er. „Das ist doch der Beweis, daß ich mir unter Mobutu nichts habe zuschulden kommen lassen!“ Die Regierung sieht das anders. Inzwischen sitzt Josef in Makala, dem großen Gefängnis von Kinshasa – „für sechs Monate oder ein Jahr“, sagt ein Soldat, als handele es sich um die allergrößte Selbstverständlichkeit.
Einen Richter hat Josef nicht gesehen, genausowenig wie alle anderen Gefangenen, die vom CNS festgehalten werden. Der unfreiwillige Aufenthalt im Gebäude des „Nationalen Sicherheitsrates“ in Kinshasa bietet unzählige Einblicke in die Art, wie die Sicherheitsorgane im Kongo arbeiten.
Die Tür wird aufgerissen, und unter Schreien, die Todesangst verraten, wird Daniel in den Raum geprügelt. Auf Fäusten muß er fünf Minuten lang einen Handstand machen. Ein Soldat hebt ein großes Fahrtenmesser, als wolle er zustechen, und ruft: „Sag uns die Adresse!“
Daniel fleht um sein Leben, stammelt eine Adresse. Später erzählt er, er habe eine Kundin besuchen wollen, um ihr ein Mittel gegen Zahnschmerzen zu geben. Unterwegs habe er sich bei Soldaten nach dem Weg erkundigt. Dummerweise war das vor dem Haus von Kazadi Nyembwe, dem Chef des CNS. Ein Soldat meint, Daniel sei ein Terrorist und habe einen Anschlag auf Kazadi geplant. Ein paar Tage später heißt es, Daniel habe Kazadis junge Ehefrau belästigen wollen.
Nach sechs Tagen mit gelegentlichen Tritten und Schlägen mit dem Gewehrkolben wird Daniel unvermittelt freigelassen. „Na gut“, meint ein Soldat verschmitzt. „Kann ja mal vorkommen, daß man sich täuscht.“
Paul ist einer Vorladung des CNS gefolgt, einen Tag nachdem zwei CNS-Soldaten in seine Boutique gekommen waren. Sie hätten gehört, er habe ein „Problem mit Kabila“, sagten sie ihm seiner Erzählung zufolge. Sie nahmen ihn mit in eine Bar, lassen sich zum Bier einladen und nehmen ihm 100 US-Dollar ab, weil sie angeblich einen Unfall mit ihrem Dienstwagen hatten.
Als Paul jetzt zum CNS-Gebäude kommt, sieht er draußen das Auto einer Frau geparkt, mit der er sich wegen eines Grundstücks streitet. Die Frau ist Bekannte eines CNS-Mitarbeiters. Es dauert acht Tage, bis Paul das CNS-Gebäude wieder verlassen kann.
Henri hat besonderes Pech: In seinem Haus hat sich Honoré Locali eingerichtet, Leiter der Ermittlungsabteilung beim CNS. Das trug sich im vergangenen Dezember zu, als Henri eines Tages von der Arbeit nach Hause kam. Seine Haustür war aufgebrochen, ein Schild an der Wand verkündete, das Haus sei jetzt vom CNS besetzt.
Henri wandte sich an den „Gerichtshof zur Ordnung in der Armee“, um sein Haus zurückzubekommen. „Die kennen schon diese Art von Fällen“, erzählt er. „Allein in Kinshasa sind 400 Häuser von Militärs requiriert.“ Vor dem Gerichtshof erwirkt er eine Verfügung gegen Honoré Locali. Locali wird von der Militärpolizei festgenommen und gibt schriftlich sein Einverständnis, das Haus bis Samstag zu räumen. Am Freitag wird Henri verhaftet und ins CNS gebracht.
Vor den Augen der anderen Gefangenen wird Henri zusammengeschlagen und ausgepeitscht. Seine markerschütternden Schreie hallen durch die Gänge. „Ich hatte Todesangst“, gesteht er später. Nach einer Woche gelingt es ihm, über einen Besucher seine Frau zu benachrichtigen. Sie informiert die Militärpolizei, die Locali zwingt, das Haus zu räumen. Nach zehn Tagen kommt Henri frei.
Es gibt auch andere Fälle. Jean ist freiwillig zum CNS gekommen. Er kennt einen der Soldaten dort und braucht Schutz: „Ein paar Militärs wollten mich umbringen“, berichtet er. Warum? Weiß er nicht. Ob es an dem großen Mercedes liegt, den er vor dem Gebäude geparkt hat? „Kann schon sein.“ Peter Böhm
Alle Namen von CNS-Häftlingen wurden geändert
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen