piwik no script img

Mit dem Fuß des Sicherheitsbeamten im Nacken

■ Erstmals prüft Israels Oberstes Gericht Vorwürfe von Palästinensern, bei Verhören gefoltert worden zu sein. Gleichzeitig berät das Parlament über ein Gesetz, das solche Methoden absegnet

Jerusalem (taz) – Der „Ersatz- Palästinenser“ sitzt auf dem Boden mit gebeugtem Oberkörper. Seine Hände sind auf dem Rücken zusammengebunden, die Füße in Fesseln nach vorne gestreckt. Im Nacken der Fuß des verhörenden Sicherheitsbeamten. Mit dieser drastischen Vorführung prangerte die israelische Menschenrechtsgruppe Betselem in dieser Woche die Folter von Palästinensern durch den Inlandsgeheimdienst Schin Beth und die Polizei an.

Das Oberste Israelische Gericht verhandelt seit Beginn der Woche über einen Antrag von fünf israelischen Menschenrechtsgruppen, gewaltsame Verhörmethoden zu verbieten. Nach Angaben von Betselem werden 85 Prozent der festgenommenen Palästinenser gefoltert. Zu den Methoden gehören im offiziellen Sprachgebrauch „heftiges Schütteln“, „Fesseln in schmerzhaften Positionen“, Schlafentzug, Beschallung durch laute Musik und das Verhüllen des Kopfes durch einen Sack.

Zudem haben Palästinenser wiederholt geklagt, daß sie geschlagen wurden und die Säcke nach Urin oder Erbrochenem stanken. Bei bisherigen Einzelklagen von Palästinensern gegen die Verhörmethoden hatte der Oberste Gerichtshof das Vorgehen des Schin Beth gebilligt, obwohl Israel die Internationale Konvention gegen Folter unterzeichnet hat.

Der Schin Beth leugnet nicht, gewaltsame Methoden anzuwenden, erklärt diese aber für notwendig, um Informationen über mögliche Bombenanschläge oder geplante Entführungen zu erhalten. So hätten Pläne, ausländisches Botschaftspersonal zu kidnappen und gegen Hamas-Gefangene auszutauschen, vereitelt werden können. Aber nicht nur in der Prävention, sondern auch bei der Verfolgung von Tätern hält der Schin Beth seine Verhörmethoden für „zwingend“. Nur so, argumentierte der Geheimdienst vor Gericht, hätten beispielsweise die Urheber des Selbstmordanschlags vom vergangenen Sommer in Jerusalem ausfindig gemacht werden können.

Es ist das erste Mal in der Geschichte Israels, daß sich ein neunköpfiges Forum des Obersten Gerichtshofes prinzipiell mit den Verhörmethoden von Polizei und Geheimdienst befaßt. Und es scheint, daß das Gericht nicht bereit ist, die Argumente des Geheimdienstes von vornherein zu akzeptieren. Gerichtspräsident Aaron Barak verwies darauf, daß es kein Gesetz gebe, das die Anwendung gewaltsamer Verhörmethoden „automatisch“ rechtfertige. Nur durch ein entsprechendes Gesetz könne den Sicherheitskräften „automatische Immunität“ oder Straffreiheit bei der Anwendung von Foltermethoden garantiert werden.

Die Knesset berät gegenwärtig über ein derartiges Gesetz. In der bisherigen Vorlage werden „gewaltsame Verhörmethoden“ aber nicht einmal erwähnt. Das könnte seinen Grund darin haben, daß das israelische Parlament sich nicht dem Vorwurf aussetzen will, gegen die „Internationale Konvention gegen Folter“ zu verstoßen.

Auch wenn eine Entscheidung noch nicht getroffen ist, tendiert der Oberste Gerichtshof offensichtlich dahin, einmal die Gesetzgebung durch die Knesset abzuwarten. Nach der Verabschiedung eines „Foltergesetzes“ wäre der Oberste Gerichtshof gebunden und müßte die Klage der Menschenrechtsorganisationen abweisen. Die Verantwortung für die Genehmigung von Folter läge dann allein beim Parlament. Georg Baltissen

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen