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Schlechte Zeiten für Verhandlungen

Obwohl sich gestern Serben und Albaner im Kosovo trafen, fordert der Konflikt täglich neue Opfer. Die Unterstützung für die albanische Untergrundarmee UCK wächst, eine Lösung scheint vorerst nicht in Sicht  ■ Aus Priština Erich Rathfelder

Der jugoslawische Präsident Slobodan Milošević selbst kam gestern nicht in die kosovo-albanische Hauptstadt Priština. Aber immerhin hatte er eine hochrangige Delegation geschickt, die mit Verspätung ihre Gespräche mit der albanischen Führung aufnahm. Zur Überraschung aller kamen die Serben sogar zu dem provisorischen Regierungssitz der Albaner, der Baracke des ehemaligen Schriftstellerverbandes des Kosovo, um gemäß der getroffenen Abmachungen über eine friedliche Lösung zu verhandeln.

Sind Ergebnisse aber überhaupt zu erwarten? Wohl kaum. Gerade als die Delegation eingetroffen war, kam die Nachricht, daß serbische Einheiten in Lausha, einem Dorf in der Region Drenica, angegriffen haben. Mehrere Häuser seien zerstört worden, berichtete Fadil Gheci, Ortsvorsteher der Demokratischen Liga in diesem Ort. Hubschrauber kreisten über den Dörfern der Umgebung.

Mit der Verknappung von Lebensmitteln tauchten in den vergangenen Tagen weitere Konflikte auf. „Die Serben lassen die Lastwagen mit Lebensmitteln nicht durch und schaffen damit ein Problem, über das dann gesprochen werden muß. Die substantiellen Verhandlungen über den Status des Kosovo jedoch werden somit umgangen“, erklärte ein Berater des Präsidenten.

Die albanische Bevölkerungsmehrheit reagiert ohnehin reserviert auf die Verhandlungen. An der Situation ändere sich gar nichts, ist die durchgängige Meinung in den Dörfern in der Region Drenica. Allein die Amerikaner und die internationale Gemeinschaft bestünden auf diesen Verhandlungen, um selbst einen politischen Erfolg zu verbuchen. Nur bei einem schnellen Erfolg könnte der auf einen friedlichen Ausgleich bedachte Präsident der Kosovoalbaner, Ibrahim Rugova, seinen Einfluß in der Bevölkerung aufrechterhalten.

Wenn nicht, droht auch in den Städten die Radikalisierung.

Der vom Fernsehen übertragene Handschlag mit Milošević bei den ersten Verhandlungen vergangene Woche, das Lachen auf dem Gesicht Rugovas, ist in der Bevölkerung nicht gut angekommen. Auch wenn die Anschuldigung der kosovo-albanischen Kritiker, Rugova komme Milošević zu sehr entgegen, haltlos ist, wächst doch der Unmut gegenüber einem solchen Verhalten. Innerhalb von wenigen Wochen ist es der albanischen Untergrundorganisation UCK gelungen, sich in den Augen der Bevölkerung als die wirkliche albanische Gegenmacht darzustellen. Nach Schätzungen beider Seiten verfügt sie nunmehr über 10.000 Kämpfer. Und jeden Tag versuchen immer mehr Albaner in den ländlichen Regionen, sich der Organisation anzuschließen. Die „befreiten Gebiete“, jene Gebiete also, in der sich die serbischen Sicherheitskräfte nicht mehr bewegen können, ohne das Risiko, beschossen zu werden, umfasse jetzt schon ein Drittel des Territoriums, erklären serbische wie kosovo-albanische Offizielle gleichermaßen. Zwar sind diese Gebiete nach wie vor von der jugoslawischen Armee, die ihre Stellungen ausgebaut hat, umzingelt, doch die Guerilla ist nun in der Lage, zu empfindlichen Schlägen auszuholen.

Der bewaffnete Widerstand und die Übergriffe der serbischen Sicherheitsstreitkräfte fordern täglich neue Opfer. So sterben auf albanischer Seite täglich drei oder vier Menschen, während andererseits serbische Polizisten verwundet oder getötet werden und die serbische Landbevölkerung von Heckenschützen angegriffen wird.

In den „befreiten Gebieten“ werden die zu Straßen umfunktionierten Wege befestigt und befahrbar gemacht. Die UCK ist dazu übergegangen, eigene Kontrollpunkte aufzubauen und das sogar auf der Straße Priština-Pec. Journalisten laufen nun Gefahr, von den albanischen Untergrundkämpfern beraubt zu werden, vor allem sind schußsichere Westen begehrt. Angesichts der unsicheren Lage haben Kriminelle beider Seiten leichtes Spiel.

Auch die städtischen Mittelschichten radikalisieren sich. „Wenn sogar ich schon sage, ich kann nicht mehr mit Serben zusammenleben und nicht mehr die ständige Gewalt ertragen, dann kann man sich vorstellen, wie die Stimmung auf dem Lande ist“, sagt ein bekannter kosovo-albanischer Journalist, der noch vor wenigen Wochen für eine friedliche Lösung eingetreten ist. Daß serbische Studenten noch Universitätsgebäude zerstörten, bevor sie sie gemäß den Abmachungen verließen, bestätigt ihn. „Dieser Vandalismus ist unerträglich.“ Gleichzeitig verlassen immer mehr alteingesessene serbische Familien das Land.

Jede Nachricht von einem Überfall auf serbische Polizisten wird in der Hauptstadt von Albanern mit Beifall aufgenommen. Psychologisch befinden sich nun alle im Kampf. Noch sind die Waffen ungleich verteilt. Änderte sich dies, würde der große Volksaufstand gegen die „serbische Besatzungsmacht“ wohl nicht mehr aufzuhalten sein. Dies sind schlechte Zeiten für erfolgreiche Verhandlungen.

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