piwik no script img

Gläserne Sozialhilfeempfänger

Auto? Nebenjob? Ab Ende dieses Jahres lassen Hamburger Sozialämter alle Daten automatisch durch die Computer-Netze laufen  ■ Von Silke Mertins

Eine alte Jacke und eine leidvolle Miene nützen künftig auf Hamburgs Sozialämtern nichts mehr. Denn ab Ende 1998 sollen die Daten von allen Sozialhilfe-AntragstellerInnen automatisch durch die Computernetze gejagt werden. „Dann wird in Hamburg technisch möglich sein, was bereits seit Anfang dieses Jahres rechtlich möglich ist“, so Petra Bäurle, Sprecherin der Behörde für Arbeit, Gesundheit und Soziales (BAGS).

Bisher wurde nur in „begründeten Verdachtsfällen“ bei der Kfz-Zulassungsstelle oder den Sozialversicherungsanstalten nachgefragt, ob ein Antragsteller vielleicht einen Benz angemeldet hat oder irgendwo doch Geld verdient.

Aus datenschutzrechtlichen Gründen war den Sozialämtern ein automatischer Zugriff auf Informationen anderer staatlicher Computernetze verwehrt. Mit der Neufassung des Bundessozialhilfegesetzes gehört das der Vergangenheit an. Von der Überprüfung betroffen sind nicht nur Einkünfte, die über die Steuerkarte laufen, sondern auch 610-Mark-Jobs. SozialhilfeempfängerInnen dürfen höchstens 300 Mark hinzuverdienen.

Auch auf Vermögen hat das Sozialamt Zugriff – zum Beispiel Autos. Ist der Pkw eines alleinstehenden Stützebeziehers mehr als 2500 Mark wert, muß er seine Kiste verkaufen oder darben. Handelt es sich um eine Familie, steigt der „Schonbetrag“.

Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts vom vergangenen Dezember ist ein Auto-Verkauf zumutbar. Ausnahmen werden nur dann gemacht, wenn ein Auto „für das Bestreiten eines würdigen Lebens unverzichtbar ist“, so Bäurle. Wann das zutrifft, entscheidet der Sachbearbeiter im Einzelfall. Das gleiche gilt für alle anderen Vermögenswerte.

In Kiel und Hannover ist der „Datenabgleich“ mit der Kfz-Zulassungsstelle bereits eingeführt. In München ist das Verfahren schon seit zwei Jahren üblich; 3000 Fahrzeughalter, die ihr Auto unterschlagen wollten, seien auf diese Weise ermittelt worden, rühmt sich die bayerische Metropole.

Auch auf das nach dem Auto zweitwichtigste Wohlstandssymbol der Deutschen müssen SozialhilfeempfängerInnen verzichten: Sie dürfen grundsätzlich nicht in den Urlaub fahren. „Jemand, der von Sozialhilfe lebt, muß dem Arbeitsmarkt jederzeit zur Verfügung stehen“, so Bäurle. Weder Familien, die die Oma im Allgäu besuchen wollen, noch MigrantInnen, die zur Hochzeit der Schwester nach Istanbul eingeladen werden, sind ausgenommen. Ausnahmeregelungen können „nur in individuellen Absprachen“ getroffen werden. Das heißt: Im Einzelfall entscheidet der Sachbearbeiter, wie lange ein Sozialhilfeempfänger mit seiner Familie Urlaub machen darf.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen